Über das Dach der Welt
Eine Fahrradreise durch
Zentralasien nach Tibet
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Inhalt
Kapitel 1 Österreich – Rutschpartie im Osterschnee
Kapitel 2 Italien – Frühling voraus
Kapitel 3 Griechenland – Die Macht der Farbe Grün
Kapitel 4 Türkei – Teppiche und Türkenpizza
Kapitel 5 Iran – Deckel auf dem Vulkan
Kapitel 6 Turkmenistan – Grössenwahn in Turkestan
Kapitel 7 Uzbekistan – Freilichtmuseen in der Wüste
Kapitel 8 Kirgisistan – Land of the Horsemen
Kapitel 9 China – Weitab von Peking
Kapitel 10 Tibet - The Land of the Nomads
Kapitel 11 Nepal – Die Treppe zum Himmel
Kapitel 12 Indien - The People Factor
"Die schönsten Träume sind die, welche man sich verwirklicht". Dies galt auch für den lang-jährigen Traum einer Reise zu dem gewaltigsten Hochplateau, das die urzeitlichen tektonischen Kräfte auf der Erde geschaffen haben. Das Ziel heisst Tibet, das Dach der Welt. Ganz nach dem Motto "Der Weg ist das Ziel" wurde das Fahrrad als das geeignetste Transportmittel gewählt. Es ermöglicht das Zurücklegen relativ grosser Wegstrecken in kurzer Zeit und stellt doch keine so gewaltsame Annäherung an das Ziel dar wie eine Flugreise. Der Geist lebt von den Höhen und Tiefen einer solchen Reise und die Wahrnehmung der körperlichen Herausforderung verstärkt diese Extrema erheblich. Und die Amplituden wechseln schnell. Das verbissene Klettern hinauf zum Pass im Regensturm und die abendliche warme Suppe in der Hütte eines Bergbauern, solche Erlebnisse brennen sich auf ewig in die Erinnerung ein. Kein Fernsehprogramm kann sie ersetzen. Es gibt auf jeden Fall nichts zu bereuen und ich kann nur jedem Zeitgenossen empfehlen, einmal im Leben das Bündel zu schnüren. Es gibt viel zu gewinnen, packen wir’s an !
Österreich – Rutschpartie im Osterschnee
Scharnitz - Innsbruck - Brenner
Ausgerechnet am Freitag den 13-ten
April verabschiedete ich mich von meiner Freundin und machte mich mit meinem
geliebten Fahrradsattel von dannen. Mein Reisepartner Roland wollte Ostern noch
bei der Familie im Schwarzwald verbringen, und wir hatten den eigentlichen Start
der Tour für Dienstag in Venedig vereinbart. Ich fuhr also mit der Bahn
an die österreichische Grenze und stieg in Scharnitz aufs Rad, den Blick
und das Vorderrad Richtung Süden. Angst, Neugier, Fernweh und Heimweh vermischten
sich zu einem mulmigen Gefühl im Bauch und begleiteten mich die ersten
Kilometer.
Es schneite und war kalt, so um die null Grad. Die Autofahrer glotzten mich
mit einem fischigen Gesichtsausdruck an. Heftiges Schneetreiben bei sinkenden
Temperaturen lies die Strasse zu rutschig werden, so wich ich auf einen Forstweg
aus. Dort blieb ich buchstäblich im Schlamm stecken, alles war aufgeweicht.
Genervt setzte ich mich schon in Seefeld wieder in den Zug. Ziemlich ätzend!
Bergab ging es dann mit der Bahn nach Innsbruck und mit der Laune, Zweifel am Sinn meines Vorhabens kamen auf, (was zum Teufel treibe ich hier eigentlich ?) Ich wollte schon in die Jugendherberge einrücken, gab mir jedoch einen Ruck und investierte die letzten Schilling lieber in die Fortbildung eines österreichischen Pizzabäckers, leider vergeblich. Trotzdem gestärkt radelte ich auf der geräumten Strasse nach Gries am Brenner, wo ich bei Einbruch der Dunkelheit in einem vornehmen Hotel mein Lager aufschlug. Es war allerdings gerade im Abbruch und es schneite zum Fenster herein grosse weisse Flocken auf meinen Schlafsack. Am nächsten Morgen weckte mich freundlich der Baggerfahrer, der den Fliesenhaufen vor dem Haus wegräumen wollte. Er zeigte mir den Weg zum nächsten Café, wo mir ein Treibsatz aus Schwarzwälder Kirschtorte und heisser Schokolade zum Frühstück neues Leben einhauchte und mich rauf zum Brennerpass katapultierte.
Brenner - Bozen - Trento - Sugano - Basano - Venedig
Die rauschende Abfahrt vom Brenner bei Rückenwind war
dann wie ein Abschütteln der letzten Zweifel, und dominierende Gefühle
der Neugier auf die kommenden Abenteuer kamen auf. Mit einem Affentempo ging
es den Alpensüdhang hinunter und das Adrenalin schoss durch die Adern.
Die Sonne strahlte vom Himmel und die Landschaft war nun bereits mit einem zarten
Grünschleier umgeben. Am Straßenrand blühten Dutzende afrikanischer
Schönheiten mit extralangen Beinen, die mir aber keine Beachtung schenkten.
Kurz vor Trento genoss ich in gediegener Atmosphäre ein paar Bier und ein
gegrilltes Wildkaninchen das sicher mehr Pech im Leben hatte (Guter Tip für
Garda-See-Reisende: Garba-Grill, ein Kilometer östlich der Strasse). Ziemlich
knülle schlug ich mein Zelt gut versteckt in einer Apfelplantage auf. Das
war eine der schrecklichsten Nächte und Platz zwei auf der Negativhitliste
der miesesten Zeltübernachtungen. Morgens um 2 wachte ich von Motorenlärm
auf. Überall fuhren Autos durch die Plantage und leuchteten mit den Scheinwerfern
zwischen die Baumreihen. Ich dachte schon, jemand hat mich beim Hineinfahren
beobachtet und nun kommen sie um mich zu holen. Ich
kappte die Zeltstangen und machte mich ganz klein. Doch des Rätsels Lösung
folgte auf dem Fuss. Die Farmer schalteten nämlich mitten in der Nacht
die Sprinkleranlagen ein und es röhrte und plätscherte bis zum Morgen
bzw. bis das der Sprit der Generatoren alle war. An Schlaf war nicht zu denken,
alle 5 Sekunden fegte ein Regenschauer über das Zelt.
Am nächsten Tag radelte ich gerädert Richtung Trento. Plötzlich eine Strassen-sperre. 100 Meter weiter lag ein VW-Bus-grosser Felsbrocken auf der Strasse und daneben eine Öllache und ein paar Glasscherben von einem Auto. Sehr dubios ! Wer war wohl zuerst da, der Stein oder das Auto ?
Weiter ging es über das liebliche Val Sugano nach Basano. Betörend. Radreisen ist doch so viel feiner als im Bus sitzen. Du spürst die Topographie, du hörst die Vögel und die Insekten, das Heulen des Windes, du riechst die Blumen und die frisch spriessenden Wiesenkräuter. Die nächste Übernachtung wählte ich sorgfältig und schob mein Rad eine halbe Stunde in eine enge Schlucht hinein. Endlich eine Nacht in Stille und Frieden.
Nach 350km rollte ich in Venedig ein, einer der schönsten Städte in Europa aber unverschämt teuer für Besucher. Am 17ten April wartete Roland morgens entspannt auf der Bahnhofstreppe und wir trugen die vollbepackten Räder über die 20 Brücken zum Marcusplatz, was doch eine ziemlich bescheuerte Idee ist. Bei 2 Mineralwasser im teuersten Café am Platze begossen wir unsere Reise (12 Mark für ein Expresso, geht’s noch ?) und warteten auf die Abfahrt der Fähre nach Igoumenitsa. Der Pott war nagelneu und riesengross, die Einrichtung ebenso steril wie die Besatzung. Roland wollte mal auf den Ausguck klettern, da wollten sie ihn gleich kielholen. Wie auch immer, das Ablegen und die Vorbeifahrt an der venezianischen Stadtkulisse waren ein grossartiges Ereignis. Und im Bordkino, das wie alle anderen Freizeiteinrichtungen ausser Betrieb war, liess es sich angenehm übernachten. Das niederfrequente Brummeln der Schiffsdiesel war das beste Schlafmittel. Mit der Fahrt nach Südosten wurde es stetig wärmer und wir sonnten uns schon am Pool während sie in Deutschland im Schnee hockten und froren.
Griechenland – Die Macht der Farbe Grün
Igoumenitsa - Meteora-Klöster - Vólos - Káristos - Mykonos - Samos - Kusadasi
Schliesslich legte der Pott gleich nach der albanischen Grenze in Igoumenitsa an. Wir investierten die mitgebrachten Drachmen erst einmal in einer Taverne und übernachteten, als die Drachmen alle waren, dann fürstlich in der Abraumhalde des ausgebaggerten Hafenbeckens.
Am nächsten Morgen fuhr uns dann Phillip über den Weg, vollbepackt wollte er den südlichsten, den westlichsten, den nördlichsten und den östlichsten Punkt Europas erfahren, von der Strecke her sicherlich nicht weniger als das was wir vorhatten. Auch für ihn ein langjähriger Traum und Obsession, so liess er doch eine Frau mit einjährigem Kind dafür auf einer kleinen Insel an Frankreichs Westküste zurück. Genau so entrückt wie wir, wollten wir auch ein Weilchen zusammen verbringen. So starteten wir gemeinsam Richtung Pindos-Gebirge und zu unserem ersten Reise-Highlight, den sagenhaften Meteora-Klöstern auf der anderen Seite in der thessalischen Tiefebene.
Fahrräder sind in der meisten Griechen Köpfe nur Spielzeuge für Kinder, und wir werden mit einer Mischung aus Bewunderung, Skepsis und Unverständnis beäugt. Zaghaft hupend machen die meisten Autofahrer einen weiten Bogen um uns. Griechenland ist ein Paradies für Radfahrer und Camper, die Topographie, however, nix für Weicheier. Es geht ständig rauf und runter, ständig wechselnde Ansichten. Es war Frühling und gerade eine Regenperiode (Immer noch das riesige Tiefdruckgebiet, das auch Deutschland den Osterschnee gebracht hat). Die grünen Kräfte unseres Planeten entfalteten ihre volle Potenz, ein wundervolles duftendes Blütenmeer betörte die Sinne. Wir fuhren am ersten Tag nur 50 km, die Pracht um uns herum liess uns dauernd innehalten und staunen.
Am
ersten Abend gab es ein grosses Spaghettikochen auf einer grünen Wiese
am Rande eines Weisstannen-Waldes und eine anschliessende Übernachtung
im Hotel Tausendsterne. Wenn da ein paar Hobbits und Bergtrolle aus dem Wald
gelaufen kämen, hätte das kein Wimpernzucken ausgelöst. Ich hatte
nämlich gerade mit den eineinhalb Kilo "Lord of the Rings" von Tolkien
angefangen, die perfekte Reiselektüre.
Weiter ging es durch die grün verzauberte Märchenlandschaft. Auf dem Weg nach Ioaninna fuhren wir am Orakel von Dodona vorbei, es hat uns aber nix orakelt, ausser das es gleich zu regnen anfangen würde, was denn auch geschah.
Nach einer teuren Campingplatz-Übernachtung am Lake Ioaninna nahmen wir dann den höchsten Strassenpass Griechenlands in Angriff, den 2000m hohen Katara-Pass. Die herrlichsten Aussichtsplätze sind jedoch komplett zugemüllt. Das ist die Crux mit den Griechen, sie schmeissen morgens auf dem Weg zur Arbeit ihren Hausmüll aus dem Autofenster, habe ich selbst gesehen. Das mögen sie seit Jahrtausenden so gemacht haben, seit der Erfindung der Plastikverpackung haben sich die ästhetischen Regeln jedoch geändert, und ich finde es auf jeden Fall ziemlich beschissen das überall die Plastiktüten in den Bäumen hängen. Es stört mich noch mehr als die Tausende toter Hunde, die verwesend auf der Strasse liegen und keiner wegräumt. Ansonsten sind die griechischen Autofahrer gegenüber den Italienern schon sehr rücksichtsvoll. Die Italiener fräsen grusslos ohne Sicherheitsabstand an einem vorbei, in Griechenland wird man als Radfahrer ständig freundlich angehupt. Lebende Hunde gibt es noch viel mehr als tote, und aggressive Biester sind auch dabei. Offensives Auftreten und ein paar gezielte Steinwürfe wirken jedoch meistens Wunder.
Eine
brutal langgezogene Steigung bringt uns auf den alpin gestalteten Katara-Pass,
wo wir übernachten. Am nächsten Morgen viel Regen vermischt mit Schnee,
es ist saukalt und wir haben keine Lust aus dem Schlafsack zu kriechen. Als
wir uns dann endlich doch an die Abfahrt wagen stellen wir fest das es wirklich
nur auf der Passhöhe regnet und sonst überall die Sonne scheint. Sehr
witzig. Es geht dann in rasanter Abfahrt direkt zu den Meteora-Klöstern
an den Rand der thessalischen Tiefebene. Alle Weit-gereisten dürften der
Ansicht sein, dass die imposanten Sandstein-Formationen zu einer der bewunderns-
und schützends-wertesten Landschaften Europas zählen. Wir klettern
staunend zwischen den bizarren Felsen herum, und klopfen abends mal so versuchsweise
an die Stahltüre eines der öffentlich zugänglichen griechisch-orthodoxen
Klöster. Klasse, man lässt uns ausserhalb der Öffnungszeiten
herein und lädt uns zu Tee und Keksen ein. Wir erzählen, wo wir herkommen
und hinwollen. Ich habe den Eindruck, sie wollen uns adoptieren und dabehalten.
Der eine Mönch knutscht uns dauernd ab und schleppt ein Keksteller nach
dem Nächsten an. Wir dürfen beim Abendgebet zuschauen, ein unvergessliches
visuelles Ereignis. Nach einem weiteren "Ruhetag" voller aufregender Exkursionen
geht es dann in einem Rutsch bei Rückenwind 150 km durch Mais- und Baumwollplantagen
in Richtung Volos an der Küste. Das Ortsschild passieren wir bei abfallender
Strasse mit gut 75 km/h.
Die Büros der Fährgesellschaften am Hafen sind ernüchternd. In detektivischer Kleinarbeit finden wir heraus, das es von Volos aus nur sporadischen Verkehr auf die Sporaden gibt. Keine Linie weiss, was die andere tut, nicht einmal innerhalb derselben Linie kann man uns Auskunft über die Verbindungen von den anderen Häfen geben. Es scheint auch keinen zu interessieren, "I do not know" war ein häufiger Kommentar, bevor die Damen und Herren an den Schaltern gänzlich das Interesse an uns verloren.
Verwirrt übernachteten wir erst einmal in einem Vorort am Strand, und beschlossen, über die Halbinsel Evia Richtung in Richtung Kastraki zu fahren. Von dort kann man Richtung Westen mit dem Boot zu dem Fährhafen Rafina östlich von Athen gelangen. Von Rafina verkehrten dann Fähren nach Mykonos. War denn doch eine gute Entscheidung. Evia war wiederum ein Radfahr-Paradies der Sonderklasse. Steile ermüdende Anstiege, nur um gleich darauf wieder auf Meeresniveau hinunterzusausen, die Farbe Grün als Seelenbalsam in allen Schattierungen, klare Bäche in bunten Blumenwiesen, traumhafte Sonnenuntergänge nebst Froschkonzerten und Lagerfeuer mit Bergen von Fleischspiessen. Auch die kommerzielle Küche ist sehr lecker, ein Mix aus altgriechischer, römischer und orientalischer Esskultur.
Schliesslich stehen wir auf unserem letzten griechischen Pass oberhalb von Marmaris, in dessen Hafen tief unter uns gerade die Fähre von Rafina einläuft. In Rafina dann wieder das gleiche Theater. Wir wissen das es von Samos aus in die Türkei geht und das von Rafina aus ein Boot nach Mykonos schwimmt. Aber keiner kann uns sagen, ob ein Boot von Mykonos nach Samos geht. Es interessiert auch keinen. Einem besonders hoch motivierten Mitarbeiter können wir die Telefonnummer seiner eigenen Zentrale entlocken die wir dann auch noch selber aus der Telefonzelle anrufen müssen. Natürlich gibt es eine Verbindung von Mykonos nach Samos, also zackzack eingeschifft.
Ich hatte keine Ahnung von Mykonos und tippte auf ein verschlafenes Inselchen. Jedoch entpuppte sich das Eiland dann doch als der Partyplanet aus Star Wars. Abends angelandet, spuckte das Schiff Hunderte von rauchenden und saufenden Teenies aus welche die kommende Nacht ganz sicher noch keine Unterkunft brauchten. Wir schoben die Räder ziellos zwischen den Youngstern herum bis uns eine dicke Mama zu ihrer Pension brachte. Meinen Geburtstag feierten wir stilvoll in einem Technocafe mit zwei Cocktails für die sie dann doch 20 Euro wollten. Ächtz !, wir dachten, Venedig wäre schon hinter uns.
Etc...
Morgens lag ich angezogen auf dem Bett und stellte fest, dass das Zimmer abgeschlossen war und der Schlüssel von aussen steckte. Roland war noch nicht so weit, ich kramte also meine überlebenden Hirnzellen zusammen und erinnerte mich an einen Gefängnissaufenthalt von Dagobert Duck und Familie. In diesen lehrreichen Büchern war die Lösung einfach. Plastiktüte unter der Türe durchschieben und den Schlüssel vorsichtig herausstochern, so das er darauffällt. Hat auch super geklappt! Wir sind dann abends mit der Fähre im Sturm gleich weiter nach Samos. Die letzten 10 Kilometer von Samos nach Kusadasi auf dem türkischen Festland erwiesen sich dann auch noch als staatlich lizensiertes Touristenmelken. 50 Euro für 10 km, das haben wir auch für die 800 km von Venezia nach Igoumenitsa gezahlt. Nach der stürmischen Überfahrt landeten wir in einer neuen Welt voller spannender Begegnungen und Erfahrungen. Den ganzen Mai wollten wir uns Zeit nehmen für die Türkei, über welche die meisten Deutschen soviel wissen wie über die Sozialstruktur des versteckten Uzzumbaki-Bergvolkes im zentral-kongolesischen Hondogebirge. Dabei wohnen über 2 Millionen Türken und Kurden bei uns !
Türkei – Teppiche und Froschkonzerte
Kusadasi - Pammukale - Konya - Kappadokien - Van
Unser erster Eindruck von der Türkei war überwältigend. Im Gegensatz zu der Servicewüste Griechenland überbieten sich die Türken gegenseitig geradezu vor Freundlichkeit und Hilfsbereitschaft uns gegenüber. Kusadasi ist der touristische Durchlauferhitzer für das antike Ephesus, und vollgestopft mit Bars, Restaurants und Souveniershops.
Sehr witzig war ein Besuch beim Friseur, bei dem ich mir das
Gestrüpp vom Kopf scheren lassen wollte. Sechs Gehilfen und Lehrlinge
wichen dem Meister nicht von der Seite und nahmen ihm alle Nebentätigkeiten
ab. Einer wickelte in Alkohol getränkte Watte um einen Metallstab, zündete
sie an, und schlug mir damit auf die Ohren um die kleinen Härchen abzusengen.
Klasse ! Wir wurden nicht alt in Kusadasi und machten uns gleich am nächsten
Tag auf in Richtung Weltnaturerbe Pammukale (Türkisch: Baumwollschloss).
Von
den 4 grossen Flussebenen, die zwischen der Ägäis und Zentralanatolien
vermitteln, wählen wir das Tal des grossen Mäander um nach Osten vorzudringen.
Der träge lehmige Strom windet durch endlose Baumwollplantagen. Die Pflänzchen
sind gerade am Keimen und noch ist die Farbe braun dominierend im Tal. Die sanfte
Hügellandschaft drumherum besticht durch ihre Zypressen, Olivenbäume
und Weinreben. Der Reichtum des Tales liess schon in der Antike Menschenstädte
wie Aphrodisias und Hierapolis blühen. Sehr staubig ist die Luft und starker
Gegenwind macht uns zu schaffen.
In unserem ersten Biwak auf türkischem Boden werden wir nachts von geil grinsenden Riesenrüsslern fast ausgesaugt. Daran können wir uns schon mal gewöhnen, im eigenen Saft schmorend im Zelt liegen während draussen die Blutsauger lauern. Die offenherzige, ehrliche Freundlichkeit der Menschen in den Dörfern am Weg ist dagegen faszinierend. Wir sind schon fast peinlich berührt, wenn wir bedenken, mit welcher Distanz Fremden gegenüber in Deutschland begegnet wird. Wer die Gastlichkeit in der Türkei nicht am eigenen Leib erfahren hat, kann sich das kaum vorstellen. Wenn wir die kleinen Dörfer durchradeln, wird sofort alle Arbeit unterbrochen, die Menschen strömen herbei, lachen und winken uns zu. Bei Stops bildet sich sofort eine Menschentraube um uns und wir werden beäugt wie gerade aus Alpha Centauri eingetroffen. Alle Wünsche werden uns sofort von den Augen abgelesen, meistens ist das die Frage wo die nächste Dönerbude ist.
"Bicyclists are always hungry" ist eine bekannte wie auch banale Erkenntnis aller Rad-Fernreisenden. Dies ermöglicht eine mengenmässig enorme Nahrungsaufnahme der lokalen Spezialitäten. Nach Denizli suchten wir bei Einbruch der Dämmerung unser Camping-Glück in einer Aprikosenplantage, ein Passant zeigte uns eine Feuerstelle wo wir unsere 2 Kilo Sish-Kebab grillen konnten. Wir haben ihn eingeladen, er lehnte aber ab und kam eine halbe Stunde später mit der Bullerei wieder. Da waren die 2 Kilo aber schon in den Bauch verlagert, ein letztes Spiesschen lehnten die Schergen dankend ab und verdufteten wieder ohne Sanktionen.
Die Sinterterassen von Pammukale bildeten nach den Meteoraklöstern einen zweiten landschaft-lichen Extrempunkt unserer Reise. Neben den Überresten der antiken Stadt Hierapolis und 90 Meter über dem Talboden plätschern hier die Thermalquellen und die im Wasser gelösten mineralischen Stoffe erstarren an der Oberfläche zu blütenweissem Kalziumcarbonat in bizarren Formen. Durch den exzessiven Pauschaltourismus der letzten Jahre zwar erkennbar geschädigt, sind sie aber immer noch zu Recht eine der Hauptattraktionen der Westtürkei.
Wir entweichen dem Rummel aber in das nordwestlich gelegene Karahayit, wo sich kleine gemütliche Pensionen um eine Moschee scharen. Das Wasser hier ist sehr eisen- und schwefelhaltig, die Pools sind mit zentimeterdicken gelbbraunen Ablagerungen beschichtet.Hier lassen wir es uns und den Moskitos erstmal einen Tag gut gehen.
Auf der Weiterfahrt kreuzen wir einen Oberlauf des grossen Mäanders, welcher diese riesige Baumwollanbaugebiet bewässert durch das wir die Tage zuvor gefahren sind. Das Gewässer ist von tiefer lila Farbe, vielleicht ein genialer Schachzug, um die Baumwolle schon beim Heranwachsen zu färben.
Langsam
gewinnen wir an Höhe und sollten erst wieder am kaspischen Meer unter 1000
Meter Meereshöhe gelangen. Wir steuern nun Konya an, das Teppichzentrum
in der grossen Ebene des Tuz Gölü und unser Sprungbrett zu den bizarren
Felsenlandschaften von Kappadokien. Zunächst aber führt uns der Weg
über Dinar nach Egirdir am Egirdir Gölü. Ein elendiger Südostwind
bläst uns ins Gesicht, dafür ist die Landschaft ein Traum. Die Türkei
verfügt neben Traumstränden über grandiose Gebirgslandschaften
und nicht ohne Grund wird man nie einen Türken auf Urlaub in den Nachbarländern
treffen. Der wenige Autoverkehr und die Tatsache, das der Agrarstaat über
ein dichtes Netz aus kleinen und kleinsten Landstrassen verfügt, machen
das Land ebenso wie Griechenland ideal für einen Radurlaub, man sollte
jedoch ein gerüttelt Mass an Zeit mitbringen da die Entfernungen galaktisch
sind.
Mittlerweile haben sich Körper und Geist auch völlig an die Belastung angepasst, und die Passanstiege mit dem 45kg-Rad gehen uns locker-flockig von den Beinen. Wenn wir in der Nähe einer Stadt sind, suchen wir uns meistens ein billiges Hotel, in der Türkei schon ab 2€ zu haben. Die "Rock-Bottom-Options" (Orginalton Lonely Planet Reiseführer) sind jedoch oft mit dubiosen Gestalten bevölkert, was mich an eine Nacht in Nairobi erinnert, als ich die Bleibe um 3 Uhr nachts nach einer Razzia plötzlich für mich alleine hatte.
Eine sehr angenehme Begleiterscheinung eines Türkeiurlaubes ist auch der pünktliche Ruf der Muhezzins welcher 5 mal am Tag die Glaübigen zum Gebet ruft. In jedem kleinen Dorf gibt es eine Moschee und entgegen dem Glauben einiger Touristen kommt der Ruf nicht via Radio Ankara, sondern ist immer ein Liveauftritt. However, die Qualitäten sind unterschiedlich und melodische Überflieger kommen genauso vor wie rakigeschwängertes Gestöhne und Gekrächze.
Wir beobachten oft, wie Frauen hart auf den Feldern arbeiten, während der Fahrer des Lastwagen, der sie gebracht hat, in der Sonne döst. Frauen tragen die Hauptlast der Arbeit im Haushalt, bei der Kindererziehung und in der Bestellung der Felder, während die Männer im Teehaus vor der Wasserpfeife sitzen oder die Zeit mit Domino und Kartenspiel totschlagen.
Schliesslich erreichen wir Konya, das wuselige Teppichzentrum
Westanatoliens. Verstunken und verlaust rücken wir erstmal ins Hamam ein,
das türkische Badehaus. "You want Massage ?" brummelt das finster
dreinblickende Kraftpaket nach unserer Reinigungsprozedur. Wir haben nichts
Negatives darüber gehört, also rauf auf die Marmorbank. UuuAargh !
Mit seinen Pranken drischt er auf mich ein und will mir sämtliche Knochen
brechen. Er macht Wurst aus mir, dachte ich. Er bricht mir die Kniescheibe und
kugelt mir die Schulter aus. Ich überlebe knapp die Tortur, Roland ergeht
es nicht besser, wir flüchen sofort, nie wieder Turkisch Massage.
Natürlich werden wir auch von unter Drogen stehenden Teppichschleppern
in einen muffligen Keller gelockt, wo nach allen Regeln der Kunst um unsere
Gunst bzw. unser Geld geworben wird. Für die Aussicht auf ein Riesenbündel
Dollares wird ein Teppich nach dem Anderen vor uns ausgerollt. Der rolexbehaftete
Gelverschnitt, der nach der zehnten Tasse Tee für die Verhandlungen auftaucht,
muss jedoch schnell erkennen, das wir nicht den Ottonormaltouristen entsprechen.
Bei dem Versuch, doch noch ein kleines Geschäft zu machen, rückt der
Preis offenbar in den Vernunftsbereich, zumindest nach den Schweissperlen auf
seiner Stirn. Trotzdem lassen wir uns auf nix ein, die Reise ist ja noch lang
und gepflastert mit Teppichzentren.
Wir besuchen auch noch das Kloster des Derwisch-Ordens, verlassen die Stadt aber schnell wieder. Über Sultanhani und Akshehir erreichen wir Kappadokien. Die letzte Übernachtung in einem verfallenen Rohbau taucht auf einem der oberen Plätze der bescheidensten Übernachtungen auf, es begann nachts waagerecht zu regnen, ohne Wände nutzte da das Dach wenig.
Kappadokien ist ein weiteres Highlight der Reise. Vor Jahrtausenden
ist das Gebiet durch den Ausbruch zweier Vulkane
entstanden. Die Asche verdichtete sich zu einer dicken Tuffsteinschicht. Bizarre
Kegel, Türme und Obelisken hat der Regen dann in das weiche Tuffgestein
gespült, und schon in grauen Vorzeiten gruben Menschen Wohnungen und Kapellen
in die Vulkanasche. Es gibt sogar 7-stöckige Tiefhäuser. Kurz vor
Göreme fährt uns der Itschi Uga über den Weg, der von Japan kommend
in einem Jahr die Erde umrunden will. Das ist zu knapp, und er fährt meistens
auf den Fernstrassen, ein recht zweifelhafter Genuss. Itschi Uga lotst uns zu
Achmed. Dieser scheint wohl mit seiner Pension in Göreme einen guten Ruf
in koreanischen Reiseführern zu geniessen, schon bald ist das Dormitory
voll und koreanische Studenten geben uns Lektionen, wie man für 10 Mark
die Woche fürstlich reisen und speisen kann. Wir gönnten uns einen
Ruhetag in dieser verwunschenen Landschaft. Ausgedehnte Spaziergänge bei
Sonne und Regen führten uns zu den absoluten Natur-Kunstwerken. Ein Muss
für jeden Türkei-Urlauber. So muss sich eine Made in einem Schweizer
Käse fühlen.
Die Fahrt in den Osten Anatoliens zum berühmten Van-See
ist ebenfalls ein landschaftlicher und kultureller Superhit in der grossen Türkei-Show.
Storchenschwärme ernähren sich von den zahl-reichen Fröschen
in den blitzsauberen Flüssen, die fehlende Industrie und der wenige Autover-kehr
sorgen für eine klare Luft und einen Sternenhimmel, wie er sonst nur auf
Alpengipfeln beobachtet werden kann.
Die kurdischen Dörfer, die wir durchqueren, sind sehr ärmlich, in der gegenwärtigen Regenperiode kann auf den Feldern nicht gearbeitet werden, und die Leute sitzen tatenlos auf dem Dorfplatz herum. Oft werden wir zu Brot, Käse und Tomaten eingeladen. Viele der Älteren sprechen deutsch, haben ihr Leben lang in Deutschland irgendwo zwischen Frankfurt, Berlin und München geschuftet, und geniessen nun die deutsche Rente in ihrem Heimatdorf in Anatolien. Es fällt auf, das immer ganze Dorfgemeinschaften in derselben Stadt in Deutschland gelandet sind.
Das wilde Kurdistan wurde schon im Mittelalter komplett entwaldet, die Ebenen kultiviert und die Hügel den jedes kleine Bäumchen fressenden Schafen überlassen. Nur sehr begrenzt sind Aufforstungsbemühungen im Gange, meistens ist die Erdkrume schon längst durch Wind und Wasser davongetragen worden. Durch den vielen Regen der letzten Wochen ist jedoch alles grün angehaucht und mit bunten Blumen gesprenkelt, eine Augenweide. Die Schafherden sind alle von wahren Kraftpaketen von Hirtenhunden begleitet, im Winter sind die vielen Wölfe ein echtes Problem. Wir sehen zwar nicht aus wie Wölfe, die Hunde mögen uns aber trotzdem nicht.
Wir halten in einem Dorf in dem gerade eine Gruppe Frauen einen Riesenstapel Yufkas backt. Im Nu wird uns Salat, Ayran und ein paar Yufkas aufgetischt, obwohl wir gerade erst ein 18-Eier-Ommelet zum Frühstück verdrückt haben. Die Gastfreundschaft der Leute ist fantastisch, in den meisten Dörfern müssen wir ohne anzuhalten durchfahren, da wir sonst gar nicht mehr voran-kommen würden. Normalerweise strömen bei einem Stop alle in Scharen herbei, und die Menschentraube zieht weitere Neugierige an. In jedem Dorf sind die Teestuben gerammelt voll mit Männern die hier den ganzen Tag lang Karten spielen und Chai trinken, den starken Schwarztee. Oft müssen wir erzählen wohin woher weshalb und sowieso.
Die nun zahlreichen Militärcheckpoints warnen uns immer eindringlicher vor kurdischen Terroristen, die ohne Vorwarnung auf uns schiessen würden. Die Bevölkerung in den Dörfern hingegen sieht die Bedrohung eher in dem türkischen Militär. Zu Recht, hat man doch fast allen Kurden ihre Pässe abgenommen, sie sind quasi Gefangene im eigenen Land. Überhaupt macht Kurdistan den Eindruck von einem besetzten Land. Abgeschirmt von der Weltöffentlichkeit muss hier vor fünf Jahren ein regelrechter Vernichtungsfeldzug gegenüber der kurdischen Separatistenbewegung geführt worden sein. Aber darüber spricht man nicht gern, auch in der Türkei gibt es eine Geheimpolizei. Jedenfalls verstehen wir uns gut mit den gefährlichen kurdischen Terroristen, die uns in einem abgelegenen Seitental beim Camping beobachten und zögerlich näherkommen. Muss wohl das letzte Aufgebot sein, die Alten mit den Kalaschnikows scheinen auch recht kriegsmüde zu sein.
Die kurdischen Hirtenhunde nehmen die ihnen anvertraute Aufgabe wirklich sehr ernst. Wenn man sich einer Schafherde zu sehr nähert, oder sie gar von den Hunden abschneidet, wollten sie uns immer gleich fressen. Die Flucht per Rad ist nur auf abschüssiger Strecke erfolgsversprechend da die Viecher alle topfit und sauschnell waren.
Eine Begegnung der anderen Art dann an einer Tankstelle, an der wir vor einer schwarzen Gewitterfront Zuflucht suchen. John und Marie in ihrem Magic Bus tauchen auf. sie sind schon seit 14 Jahren unterwegs und verdienen sich ihren Lebensunterhalt mit Musizieren in Europas Städten, der 11jährige Sohn bekommt Fernunterricht. Die drei scheinen glücklich zu sein. (Orginal-Tip: If you start to travel, you need at least one or two years to get used to travel...) Man trifft sehr wenig Langzeitreisende über 30 Jahren die ihre Lebensmotivation alleine aus dem Reisen beziehen. Ein Gewittersturm kommt auf, wir laden die Räder in den Magic Bus und fahren in ein abseits gelegenes Dorf, wo es abends ein nettes Sit-In mit Gitarrenmusik gibt. Leider hat mir ein verseuchter Fleischklops den Magen umgedreht und die Schwerkraft erscheint mir dreifach überhöht. Die nächsten 2 Tage fahre ich hart an der Vernunftsgrenze.
Auf manchmal holprigen Wegen kommen wir in ein Gebiet, das zu den am wenigsten entwickelten Regionen des Landes zählt und nur sehr selten von Reisenden besucht wird. Sanft geschwungene Höhen und breite Täler, tief eingesenkte Schluchten und und schroffe Grate bewahren archäologische und volkskundliche Geheimnisse in grosser Zahl.
In den ärmlichen Siedlungen, in denen wir zwecks Nahrungsaufnahme anhalten, werden wir mit einer Mischung aus Skepsis und Neugier beäugt, im Restaurant wird witzigerweise vom Personal immer einer als eine Art Leib- und Fahrradwächter abgestellt, der auch auf die Räder aufpasst.
Viel Essen behalte ich die Tage eh nicht bei mir, regelmässig muss ich kotzen, und die letzte Fettzelle verbrennt auch irgendwann. Kurz vor dem Van-See übernachten wir einmal in einer Polizeistation. Ist wohl eine Strafe, dorthin versetzt worden zu sein, und Lohn gibt’s wohl auch nicht so viel. Die Station ist ein komplett ausgestatteter Bauernhof, mit Schweinen, Hühnern, Truthähnen etc... . Im Foyer hängt eine Fotowand mit den herausragenden Unfällen, darunter eine Aufnahme von einem verbeulten Fahrrad inklusive Radfahrer ohne Kopf. Sehr nett !
Schliesslich
erreichen wir Tatvan am Westufer des Van-Sees, wo wir einen Ausflug auf den
Nemrut Dag unternehmen in dessen abgesprengten Gipfel der grösste Kratersee
der Türkei liegt. Eine unwirkliche Landschaft auf 2000 Meter Höhe
Die dubiose Gestalt, die plötzlich in einem Taxi anrollt entpuppt sich
als Mister MClean persönlich, der die MCleans in Deutschlands Bahnhöfen
betreibt. Ein richtiger Lebenskünstler, der schon die ganze Welt bereist
hat. Die abgefahrensten Leute trifft man halt an den abgefahrensten Plätzen.
Für nachfolgende Radreisende: Es ist nicht anzuraten, vom Zentrum Tatvans aus in kurzen Radhosen Richtung Seeufer zu laufen. Es befindet sich da nämlich ein Mädchenpensionat und mein Anblick sorgte für lautes Gekreische und offenbar nachhaltigen Unterrichtsausfall J .
Wir schiffen mit der rostigen Fähre in einer wunderschönen Fahrt von Tatvan nach Van am Ostufer. Mit an Bord sind ein paar hundert Iraner inclusive Eisenbahn, die das Schiff im Handumdrehen in ein Zeltlager verwandeln. Sie sind gerade auf dem Rückweg von einer Pilgerreise nach Syrien. Klasse Stimmung. Sie tanzen und singen, spielen Gitarre, all das ist im Iran unter den Mullahs verboten. Auf diesem wunderschönen kristallklaren See, doppelt so gross als der Bodensee, gibt es wirklich nur ein halbes Dutzend Schiffe, sonst nix. In Van gönnen wir uns noch einen Ruhetag und machen uns dann auf den Weg zur iranischen Grenze.
In dem kleinen Dorf Mustahassan nahe der Grenze brennt uns dann der Benzinkocher ab. Das war eine Show wie sie nur Gandalf the Wizzard besser hinbekommen hätte. Wir machten das ab und zu, abends in die ein wenig abseits der Strasse gelegenen ärmlichen Lehmdörfer zu fahren. Das garantiert einmalige und unvergessliche Erlebnisse für uns sowie die Zivilbevölkerung. So als ob etwa irgendwelche fünf-tentakligen zugedröhnten Freaks aus Alpha Centauri auf dem Weg zum nächsten Partyplaneten auf dem Münchner Marienplatz nach etwas Sprit und was zu Rauchen fragen. Oft werden wir bei solchen Dorfbesuchen in ein Haus eingeladen, manchmal zelten wir auch auf dem Dorfplatz. Dann hat man jedoch wirklich nur im Zelt seinen Frieden, morgens warten immer schon ein Dutzend Kinder vor dem Zelteingang darauf, das die Show weitergeht. Nun war es an diesem Abend so dass, gerade als an die 30 Leute um uns herumstanden und uns beim Spaghettikochen zusahen, der Kocher in Flammen aufging. Die Dichtung zwischen Flasche und Benzinpumpe versagte, der unter Druck stehende Sprit entwich und entzündete sich. Ein beträchtlicher Feuerball stieg auf. Brennendes Benzin spritzte über das Essen, ich hatte viel Glück, mir nicht die Hände zu verbrennen. Nach einer Schreckminute löschten wir mit einem nassen Schlafsackinlet. Der Jammer war gross, aber kurzfristig kamen sie aus allen Häusern herbeigeeilt und im Nu waren wir mit gekochten Eiern und Chapatis, Ayran, Tomaten und Käse überhäuft. Langfristig waren wir nun auf die Restaurants angewiesen, aber bis Tashkent war eine gute Infrastruktur zu erwarten. Auf jeden Fall bestellten wir eine Ersatzpumpe nach Tashkent.
Nach einem weiteren Fahrtag durchs wilde Kurdistan kommen wir zur Grenze Diese ist aber entgegen aller Gerüchte für den Strassenverkehr gesperrt, so müssen wir in den parallel fahrenden Zug einsteigen, der uns über die iranische Grenze bis nach Tabriz bringen soll. Eine Szenerie reif fürs Theater. Scheinbar ist an dieser Station noch nie jemand zugestiegen, der Bahnhofschef telefoniert und wälzt in seinen Büchern eine geschlagene Stunde nach dem korrekten Fahrpreis. Alle 10 Minuten nennt er uns freudenstrahlend die Zwischenstände während wir staunend uns in den Sesseln wälzen.
Iran – Deckel auf dem Vulkan
Tabriz → Ardabil → Astara → Rashd → Babol Sar → Teheran → Esfahan → Babol Sar → Quchan
Salem aleykum ! Der strahlende Sonnenaufgang über Tabriz weckt die Lebensgeister
und die Neugierde auf das Land, in dem wir die nächsten 30 Tage verbringen
werden. Wir wühlten uns durch den starken Verkehr der Teppich- und Textil-Stadt
auf der Khomenei Avenue zu der Budget-Empfehlung Hotel Arc bei der Zitadelle
aus dem 14ten Jahrhundert. Der iranische Strassenverkehr erinnert stark an Indien.
Es gibt Ampeln die auf Rot und Grün gleichzeitig stehen, manche blinken
rot oder grün, die meisten sind aber abgeschaltet, und ohnehin finden sie
keinerlei Beachtung. Fahrspuren existieren nur in der
Phantasie, und deren Zahl richtet sich nach der Verkehrsdichte. Die Mopedfahrer
sind die Freibeuter der Strasse, sie fahren auf der Gegenfahrbahn oder auf dem
Gehweg, eine möglichst grosse blaue Wolke am Heck gilt als schick und die
Fahrer kippen dafür extra Öl in den Sprit. Total bescheuert !
Tabriz hatte einen der eindrucksvollsten Bazare zu bieten. Händler, Käufer und Lastenträger schoben sich durch enge Gänge vorwärts, Seitengänge öffneten sich zu kleinen Innenhöfen. Säcke voller Gewürze verströmten einen Duft aus Tausendundeiner Nacht. In dunklen Teestuben sassen Männer andächtig über ihren Wasserpfeifen. So musste es schon vor Jahrtausenden ausgesehen haben.
Im Iran sitzt uns die Zeit im Nacken, wir haben nur ein 5-Tages-Transit-Visum
und können in Abschnitten bis maximal 30 Tage verlängern. Aus Tabriz
fahre ich denn auch sofort los, 300 km in drei Tagen nach Ardabil. Roland hat
die Grippe und fährt mit dem Bus. Am ersten Abend lande ich in einem kleinen
Dorf auf einer Wahlkampfveranstaltung für Präsident Chatami. Das ist
Das Erlebniss ! Ich bin die Attraktion des Abends und wir diskutieren bis spät
in die Nacht. Die allermeisten Iranis haben die Schnauze voll von den Mullahs,
die seit der Zeit des Schah für einen Stillstand des Landes gesorgt haben.
Die Mullahs wählen sich dauernd selber und halten sich mit Hilfe der mächtigen
Geheimpolizei an der Macht, die immer einen Grund findet, um all zu lautstarke
Regimekritiker einzukerkern. Das Schattenparlament unter Chatami ist nur eine
Marionette, da die Mullahs um Religionsführer Chamenei für alle Entscheidungen
ein Vetorecht besitzen.
Am nächsten Morgen ist Besuchsprogramm, Rathaus und Schule. Vor der Klasse
muss ich auf der Landkarte zeigen wie die Reiseroute verläuft. Der Iran
ist ein phantastisches Land, Das Bildungsniveau ist durchschnittlich sehr hoch,
es gibt eine starke Mittelschicht, das Land ist nur seit 20 Jahren gelähmt.
Es gibt keine Bars, keine Diskotheken, Tanz und Gesang sind verboten. Gerade
unter der jungen Generation die illegal mit Satellitenschüsseln westliche
Fernsehprogramme empfängt, sorgt das für Unruhe. Und diese junge Generation
ist eindeutig in der Mehrheit. Zwei Drittel sind jünger als 25 Jahre. Das
Land ist jedoch immer noch kriegsmüde vom Iran-Irak-Krieg und noch nicht
reif für eine Revolution.
In Ardabil hole ich Roland ab und wir fahren Richtung Kaspisches Meer Den ersten
Tunnel den wir seit den Alpen passieren beendet zudem die Fahrt über dieses
gigantische Hochplateau, das die urzeitlichen Kräfte zwischen hier und
der Westtürkei aufgeworfen haben. Die Landschaft fällt urplötzlich
bis auf minus 29m ab, es sieht aus wie im Tessin und dichte Wälder prägen
das Bild. Unten in Astara an der grenze zu Aserbaidschan versuchen wir erfolglos,
unser Visa zu verlängern und machen uns auf den Weg nach Rasht, der wichtigsten
Marktstadt am kaspischen Meer. Die Küste des kaspischen Meeres ist ein
scharfer Streifen Agrarland, kaum 2 km breit und begrenzt durch das Meer und
die steilen bewaldeten Aufschwünge zu dem Hochplateau. Es dominiert der
Reisanbau, was für Heerscharen von gierigen Stechmücken sorgt. Das
milde Klima macht die Küste zum beliebten Wohn- und Urlaubsort. Umzäunte
Ghettos der reichen Teheraner prägen das Bild. Die Nacht von Rud-Sar und
Platz eins der übelsten Nächte: Kurz nach Rasht abends an der Küste:
Wir bruzzelten uns mit dem Esbitkocher ein radfahrergerechtes 18Eier-Ommelet.
Die ganze Zeit nervte uns ein unsympathischer Typ, laberte uns gnadenlos zu
und beäugte unsere Ausrüstung Bei Einbruch der Dunkelheit legten wir
uns ins Zelt, da die garstigen Rüssler wieder gierig auf unser Blut waren.
Nach einer Stunde tauchte dann Davud wie er sich nannte mit 2 Kumpanen auf,
und verlangte nach Zigaretten. Zunehmend unentspannt machten
wir ihnen klar, dass sie sich verdrücken sollen. Das taten sie dann sehr
plötzlich auch, nur nahmen sie Rolands Klickpedal-Schuhe, seine Uhr und
mein Taschenmesser mit. Später tauchten dann noch andere auf, wir taten
aber kein Auge mehr zu und passten auf wie die Schiesshunde. Mehrmals mussten
wir aus dem Zelt stürmen weil wieder so ein Bandit sich von hinten an die
Fahrräder anschlich. Wenigstens waren alles Laien, in Südamerikas
hätten wir wohl längst ein Messer am Hals. Später fing es auch
noch zu regnen an, wenigstens hatten wir nun unsere Ruhe.
Am Morgen war die Laune am Boden und der Zorn gross. Zuerst fuhren wir zur nächsten Polizeistation Richtung Osten. Nach ewigem Hin und Her bemühte sich eine Beamter mit Roland zum Tatort. Er kehrte jedoch bald freudestrahlend mit der Erkenntnis zurück, das der Ort nicht mehr in ihrem Zuständigkeitsbereich lag. Wir sollten beide am Tatort auf die Polizei von Rud-Sar warten, sie würden das Revier anrufen und Beamte dorthinbestellen. Wir fuhren hin, warteten, aber keiner kam. Ich begann die Hauptstrasse entlangzuschlendern und die Einheimischen zu befragen. So was kam wohl in 100 Jahren nicht vor und schon bald bildete sich eine Menschentraube um mich. Es fand sich der englischsprechende Dorfchef und nach einer Stunde erklärte ein 10jähriger Knirps, er hätte den Dieb gesehen und wüsste wo er wohnt. Der Häuptling drängte uns zwar, zur Polizei zu fahren, aber von den Jungs hatten wir die Schnauze voll. Nix wie hin zum Haus des Diebes, der Typ war aber ausgeflogen und der Häuptling nahm uns erst mal mit in sein Haus und versorgte uns mit Tee und Keksen. Nach einer halben Stunde brachte einer unerwartet unsere Sachen, nur mein Messer fehlte.
Es folgte eine grosse Verabschiedungszeremonie, der Chef versicherte das der Dieb das Messer nicht behalten darf. Auf dem Weg aus dem Dorf lief uns der Täter dann noch höchstpersönlich über den Weg, Ich umarmte ihn freundlich zur Begrüssung und forderte nachdrücklich mein Eigentum. Das Orginal-Opinelmesser hatte er schon verkauft, er musste aber sein eigenes Schweizer Messer rausrücken. Nachdem er noch von ein paar aus einer Hütte herbeigeeilten Alten rund gemacht wurde, verliessen wir mit einem Sieg auf der ganzen Linie den Tatort. Weiter ging es die Küste entlang. wir schliefen jetzt nur noch auf Privatgrundstücken.
Einmal übernachteten wir neben einer Waldschänke in einem "Forest Park". Der Wirt war ein 2 Meter-Muskelmann und warnte uns "It is impossible to sleep outside, there are dangerous rabbits around". Da fiel mir schier die Kinnlade herunter. Aber er meinte wohl nur die vielen Wildschweine die nachts um unsere Schlafsäcke herumgrunzten.
In Babol Sar läuft uns dann Jaffar über den Weg. Ein umtriebiger Hersteller von Schwimmwesten und allerlei Aufblasbarem mit pakistanischem, holländischem und amerikanischem Pass und ebenso vielen verheirateten Frauen (Orginalzitat: If you want to ride a bike, it is better to ride your own bike).
Er schleuste uns gleich zu seinem Kumpel Ali Saldegi, dem iranischen Radmeister von 1972 der immer noch den 20 Jahre alten Geschwindigkeitsrekord von Babol Sar nach Teheran innehält. Ali verkauft jetzt Reis und Honig, in seinem Laden hängt ein eingerahmtes Foto, auf dem er zusammen mit Rudi Altig posiert.
Schnell freunden wir uns an, und stellen bei Jaffar unsere Räder unter.
Am nächsten Tag fahren wir mit dem Bus am Mount Damavand vorbei nach Teheran.
Die Strasse ist verstopft durch extrem russende Laster. Ganz besonders schlimm
sind die
Tunnels, welche unbelüftet sind und in denen sich der graue Dunst staut.
Mit ein paar Russmonstern vor uns kratzt die Passage schon hart an der Belastungsgrenze
und wäre mit dem Rad schier unmöglich. Im smoggeplagten 10-Millionenmolloch
Teheran, chronisch verkehrsverstopft und ein Musterbeispiel mangelnder Stadtplanungskunst,
verlängern wir unser Transitvisa und holen ausserdem das Visa für
Turkmenistan. Wir bekommen trotz deutschem Einladungsschreiben leider nur fünf
Tage und müssen wohl mit dem Zug durchfahren.
Mit dem Nachtzug machen wir auch eine
zweitägige Exkursion nach Esfahan, einem geistigen Zentrum und touristischem
Highlight Irans. Farbenprächtige
Fliesenornamente schmücken die Wände der Moscheen, die Stadt ist ein
Zentrum des
iranischen Kunsthandwerkes.
Ausserdem verbrachten wir 2 Tage in dem Dorf Reine am Mount Damavand, ca 5800m
hoch. Der Vulkan ist bergsteigerisch eher langweilig, wir sind auch nicht hochgestapft,
da wir keine Schlafsäcke und Steigeisen dabei hatten. Trotzdem war Reine
eins der Highlights im Iran, wundervolle Ruhe, gute Luft und kiloweise die weltbesten
und knackigsten Kirschen. Wir sind immerhin mit Achmed scheinbar schwerelos
durch duftende Schafmohnwiesen in das Advanced Base Camp gewandelt
Zurück in Babol Sar ein wenig Wasserskifahren auf Babol-Sars einzigen Paar
Wasserski, einfacher als ich dachte, kein einziges
Mal fliegen wir ins Wasser. Den Frauen beim Baden im Meer zuzuschauen ist echt
mitleiderregend. Nein, sie legen Darth-Vader-Umhang und Kopftuch dabei nicht
ab.
Am Tag der Sommersonnenwende machen wir uns auf nach Osten. Von Babol-Sar nach
der turkmenischen Grenze bei Baggiran legen wir eine echte Gewaltetappe hin,
800 km in 8 Tagen durch die Berge. Am ersten Tag bringt uns die Leibgarde auf
den Mofas noch bis vor den Ort, dann fahren wir nachmittags noch 116km bis nach
Beshwar. Der Zeltplatz-Tip der Einheimischen erweist sich als Farce, ein kleiner
Flecken grün neben der Hauptstrasse, bevölkert von hunderten Iranis.
Aber die Leute sind auch echt abgehärtet in der Wahl der Picknikplätze.
So sieht man Familienfeste mit Decken, Samowar und Fresskorb inmitten von Kreisverkehren
in der Stadt, oder auf dem Gehweg von 8-spurigen Hauptstrassen schlafende Personen.
Aber als wir ratlos von einer Kinderschar umringt am Stadtrand nach einer Zeltmöglichkeit
suchen, werden wir wieder zak-zak eingeladen, das ist im Iran so sicher wie
der Ruf der Muhezzin. Eine klassische Einladung, bis spät in die Nacht
dürfen wir erzählen wohin, woher, weshalb etc... De iranische
Wohnungseinrichtung ist ziemlich cool, keine Tische und Stühle, nur Teppiche
und Kissen, gegessen wird auf dem Boden. Sehr angenehm ! Wir halten die nächsten
Tage immer Ausschau nach einer Einladung, da die Tage unerträglich heiss
geworden sind, und es nachts kaum abkühlt.
Da ist eine Zeltübernachtung eine echte Qual. Wegen den Mücken müssen die Eingänge geschlossen bleiben, schmoren im eigenen Saft. Es ist auch ein Problem, morgens früh aufzustehen und in der Kühle des Morgens die meisten Kilometer zu machen. Ganz einfach weil nachts nur 6 Stunden dunkel ist und es unmöglich ist, mittags eine Siesta zu halten.
Kurz vor Gondab e Kavus mittags um 2 die bisher heisseste Stunde des Jahres. Es ist, als ob Dir jemand einen 1000 Watt Heissluftföhn aus 50cm Entfernung ins Gesicht hält, ohne Übertreibung!.
Ein Reiseradler den wir später trafen hat uns gesagt, das es mittags immer
so um die 52 Grad im Schatten hat. Auf den Strassen kein Mensch, nach dem Mittagessen
suchen wir Erholung im Stadtpark. Glaube wir müssen ganz schön fit
sein, dass das der Kreislauf mitmacht. Der Turm neben dem wir halbtot im Gras
liegen ist übrigens der älteste Backsteinturm der Welt, aus dem elften
Jahrhundert. However, ein Stadtpark bildet für 2 in Plastik gekleidete
Ausserirdische
keinen wirklichen Ort der Erholung, andauernd kommt jemand angeschlappt, und
dann geht’s los, Where you from, do you know Ali Dai from Hamburger SV usw.....
Manchmal komm ich mir vor wie Michael Jackson auf dem Tretroller in der Marienstrasse
in München. Aber die richtigen Ausserirdischen müssen unter den schwarzen
Kutten stecken, wie schaffen es die Frauen in der Mittagshitze zu überleben,
wenn wir schon bei jeder kleinen Bewegung anfangen zu saften
wie ein Steak in der Pfanne.
Die Einheimischen haben wohl Mitleid mit uns und wir werden dauernd in Privatwohnungen zum Übernachten eingeladen. Das ist natürlich unglaublich viel luxuriöser als im Saunazelt, wir werden mit Essen überhäuft und dürfen unter einem Ventilator schlafen.
In einem Provinznest musste ich einmal einen schweisstreibenden Anruf an das Finanzamt München tätigen. Der Chef hat uns zur Entspannung dann gleich zu sich nach Hause eingeladen, und in der kühlen Luft der Klimaanlage bekochten wir ihn und seine Frau dafür mit Tomato-Knoblauch Spaghetti nach Studentenart.
Noch vor Maschad biegen wir nach Norden ab in Richtung Turkmenistan. Nach einer Fahrt durch den wunderschönen einsamen Gebirgszug Kopet Dagh, welcher einen natürlichen Grenzwall zwischen Turkmenistan und dem Iran bildet, erreichen wir den Grenzort Baggiran. Erstaunlich, wie wenig Verkehr die ganze Zeit über auf der Strasse herrscht. Höchstens ein zwei Autos in der Stunde, der Grenzhandel spielt offenbar kaum eine Rolle.
Turkmenistan – Grössenwahn in Turkestan
Ashgabad → Mary → Turkmenabad
Der turkmenische Grenzposten kurz nach dem Pass will vor Langeweile in erster Linie unter-halten werden, so müssen wir beim Zoll die Taschen auspacken und die Funktion der einzelnen Ausrüstungsgegenstände erklären. Nach geduldsamen 2 Stunden ist die Prozedur zu Ende und man lässt uns die 1000 hm abfahren in die unerbärmliche Hitze der Karakum-Wüste.
Turkmenistan,
man könnte es auch Absurdistan nennen, hat den derzeit bizarrsten Personenkult
weltweit zu bieten. Zum Präsidenten auf Lebenszeit vereidigt, hat sich
der letzte KPD-Chef Saparmurad Nijasow, der sich "Turkmenbashi, Vater aller
Turkmenen" nennt, schon jetzt in unzähligen Statuen verewigt und lächelt
von jedem öffentlichen Gebäude der Hauptstadt Ashgabad in mannshohen
Plakaten. Sein Konterfei findet sich auf jedem Geldschein und jeder Briefmarke,
sogar eine Stadt am kaspischen Meer wurde nach ihm benannt. Auch im staatlichen
Fernsehen ist er allgegenwärtig, Turkmenbashi im E-Werk, Turkmenbashi in
der Schule, Turkmenbashi hier, Turkmenbashi dort, wirklich extrem ! Neulich
mussten alle Geldscheine neu gedruckt werden, da der Führer sich die Haare
schwarz färben liess. Eine 12 Meter hohe und mit 26kg Gold beschichtete
Statue von ihm dreht sich auf dem 75 Meter hohen "Neutralitätsdenkmal"
in der Stadtmitte, das aussieht wie eine Raketenstartrampe. Das Abbild dreht
sich innerhalb eines Tages automatisch um die eigene Achse. Immer der Sonne
nach, die der Führer seinem Volk mit ausgestreckten Armen als Geschenk
zu präsentieren scheint. Erst kürzlich wurde vor der Stadt ein weiterer
12 Meter-Turkmenbashi aufgestellt, für 100 Millionen Euro in einer Parkanlage
mit zig Wasserfällen sowie einer Armee von Putzkolonnen und im
Stechschritt
patrouillierenden Soldaten.
Offiziell bezeichnet sich die Regierung als demokratisch, da
es jedoch keine Opposition gibt und jeder Ansatz von Widerspruch von der Geheimpolizei
sofort im Keim erstickt wird, ist die Be-zeichnung Dikatur eher angebracht.
Noch weniger als im Iran waren hier die Leute bereit, über politische Themen
zu sprechen, da viele Spitzel unterwegs sind um potentielle Unruheherde auszuloten.
Ein wesentlicher Beitrag zur Ruhigstellung des Volkes ist die kostenfreie Versorgung
mit Strom, Wasser und Gas. Das führt natürlich zu für Europäer
verständnisslosen Zuständen, So brennen in vielen Wohnungen die Gasherde
24 Stunden am Tag, da Streichhölzer als eine über-flüssige Ausgabe
betrachtet werden. In unserem Hotel z.B. liess sich das Wasser in der Dusche
nicht abstellen, der Hinweis an die Hotelleitung verursachte ausser Schulterzucken
keine weitere Reaktion. Der Reichtum des Landes basiert auf einer riesigen Blase
Erdgas, und das ist auch der Grund weswegen alle Staatschefs dieser Welt dem
exzentrischen Turkmenbashi hofieren. Westliche Drogenfahnder glauben, dass durch
das Wüstenland
auch große Mengen Heroin ver-schoben werden: Turkmenistan ist einer der
wenigen Staaten mit regen Handelsbeziehungen zu den afghanischen Stammesfürsten.
Die Drogen verlassen Afghanistan in versiegelten Containern und bekommen in
Turkmenistan neue Papiere.
Der Turkmenbashi ist nur das extremste Beispiel der Führer
in den einstigen sowjetischen Republiken Mittelasiens, Kasachstan, Turkmenistan,
Uzbekistan, Kirgisistan und Tadschikistan. In allen fünf Ländern sind
Ex-Kommunisten an der Macht, und bis auf Kirgisien (4,5 Millionen Einwohner)
beherrschen sie ihre Länder mit harter Hand. Meinungsfreiheit ist für
Nijasow ebenso ein Fremdwort wie für den 1990 zum Partei- und Parlamentschef
aufgestiegenen Islam Karimow in Usbekistan (22,2 Millionen Einwohner), der die
Opposition verfolgen läßt.
Die grassierende Korruption lähmt jede gesellschaftliche und politische Fortentwicklung und die Reichtümer teilen vor allem die herrschenden Clans unter sich auf. Vor allem die Turkmenen und die Usbeken besitzen wertvolle Rohstoffe wie Gas und Öl, aber auch Gold und Uran. Es geht in Zukunft also um die Frage wer den Zugang zu den riesigen Energie- und Edelmetallvorkommen Zentralasiens kontrolliert. Von der Region hängen Energiepreis und Versorgungssicherheit unmittelbar ab und es ist zu befürchten das die Uneinigkeit untereinander sie zunehmend zum Spielball der Grossmächte werden lässt.
Auf dem Weg in die Stadt machen wir Halt in der marmor- und goldglänzenden neuen Tempel-anlage vor der im Stechschritt Soldaten patrouillieren. Es ist über 45 Grad im Schatten, und die Uniformierten, die bewegungslos neben Turkmenbashis Statue verharren, sind erkennbar im Hitzestress.
Wir verziehen uns nach dem Fotoshooting in eine klimatisierte Pizzeria. Da müssen wir erst mal schlucken, das umfangreiche Personal besteht aus 18-jährigen langbeinigen Mädchen in äusserst knappen Blusen und Miniröcken. Nach 2 Monaten Türkei und Iran sorgt das bei uns für verdrehte Synapsen und ernste Verwirrungszustände. Dennoch bestellen wir die Speisekarte rauf und runter. Plötzlich kommt eine Gestalt herein und verlangt, die Räder hineinzustellen. Ok, aber warum ? Die Restaurantleitung erklärt uns, dass der Führer beabsichtigt, nach Hause zu fahren und deshalb die Strasse frei von anderen Fahrzeugen zu sein hat. Ok Ok, wir wollen es uns ja nicht gleich mit dem Allmächtigen verscherzen.
Da
wir nur 5 Tage Transitvisum bekommen haben und uns die über 50 Grad heisse
turkmenische Wüste ohnehin nicht als Radfahrerparadies vorkommt, bemühen
wir uns gleich nach dem Essen im Backofen Bahnhof um die 2 Euro teuren Liegewagentickets
nach Turkmenabad an der uzbekischen Grenze. Bis zur Abfahrt bleiben wir noch
2 Nächte in der skurrilen aber schönen Stadt, das Hotel müssen
wir zwischendurch wechseln, da die Kakerlaken im Bett mit uns nicht den für
Ausländer vervierfachten Hotelpreis teilen wollen. Es gibt hier eine Parkbank
pro Einwohner und kaum Autoverkehr. Breite Alleen mit Blumenbeeten und eine
Armee von Gärtnern und Saubermachern. Die Mädels sind eine Augenweide,
vor allem die Russinen haben gewagte Kleidchen an mit denen sich in Deutschland
kein Fräulein ohne Waffenschein auf die Strasse trauen würde.
80% der Turkmenen leben unterhalb der Armutsgrenze, es gibt so gut wie keine Mittelschicht in Turkmenistan, und so kann sich der Grossteil der Bevölkerung das Warenangebot in den nagel-neuen Kaufhäusern und Boutiken nicht leisten. Wir versuchen, mit den jungen Leuten ins Gespräch zu kommen, die bei geringem Verdienst in den Konsumtempeln auf Kundschaft warten.
In einer Reinigung reissen wir 4 Mädels auf, die sich jedoch nur mit männlicher Anstands-Begleitung mit uns in ein Cafe´ ausgehen. Das war ein lustiger Abend, im Gegensatz zum Iran sind die Turkmenen aber sehr zurückhaltend gegenüber Ausländern und zu politischen Themen können wir niemand einen Kommentar entlocken.
Die Zugfahrt an die turkmenisch-uzbekische Grenze war eine echte Belastung für den Kreislauf, Mittags um 4 liess es sich nur am Fenster stehend aushalten. Im Abteil erreichten die Temperaturen gut Sauna-niveau und wir hofften auf die Kühle der Nacht. Wider Erwarten sind wir dann ohne Hitzeschlag in Turkmenabad an der uzbekischen Grenze angekommen. Wir erfragten uns den Weg aus der Stadt hinaus, und näherten uns nach 40 km der Grenze. Nach dem nervenden Taschenauspacken und Einpacken mussten wir zur medizinischen Untersuchung. "Are you healthy? - Yes, Yes !", das war´s und wir konnen fahren. Wir gewannen langsam den Eindruck, dass wir mit den Fahrrädern und dem deutschen Pass einen ziemlichen Bonus genossen, im Vorfeld der Reise recherchierten wir nämlich viele Horrormeldungen über Schmiergeldzahlungen an die Grenzbehörden.
Uzbekistan – Freilichtmuseen in der Wüste
Buchara → Samarkand → Taschkent → Ferganatal
Kaum zu glauben, welcher Schrott auf Rädern sich hier in Uzbekistan auf der Strasse hält. Defekte Öldruckstossdämpfer werden oft nur ausgebaut und nicht ersetzt, Reifen werden immer bis auf das Gewebe heruntergefahren, Lichtanlagen sind wenn vorhanden meistens defekt. Manche Fahrzeuge haben keine Türen und Fenster. Wenigstens haben wir keine Angst, über den Haufen gefahren zu werden denn wir erregen Aufmerksamkeit wie buntgescheckte Andromedaner. Wie in der Türkei und im Iran waren wir auch hier die Attraktion des Tages, die Leute jubelten uns zu wie bei den Bergetappen der Tour de France.
3 Stunden nach dem Grenzübertritt hielten wir in einem Restaurant am Strassenrand und assen zusammen mit den Schmeissfliegen zu Mittag. Das coole an den uzbekischen Restaurants ist, das die Tische nur 40 Zentimeter hoch sind und auf einem ca. vier Quadratmeter grossen, mit Kissen und Teppichen bestückten Podest stehen. So muss man sich nach der Mahlzeit quasi nur umfallen lassen und kann ein kleines Nickerchen halten. Klasse ! Wir haben das einige Male auch abends praktiziert, und dann gleich die Nacht an den Restauranttischen verbracht, bis zum Frühstück. Warum geht sowas nicht in Deutschland ?
Jedoch sind die hygienischen Verhältnisse in den uzbekischen Küchen eine Farce, und unser Immunsystem arbeitete auf Hochtouren. Nirgends hatten wir solche Probleme mit dem Magen wie in Uzbekistan und Kirgisistan. Zur Entkeimung lässt sich Roland am ersten Tag gleich mittags auf ein Trink-Wettkampf mit 3 alten Uzbeken ein. Er geht mit wehenden Fahnen unter obwohl die Uzbeken schon 3 Flaschen Vorsprung hatten.
Für 4 Personen 2 Flaschen Wodka zum Mittagessen, das ist Standard und an jedem Tisch zu beobachten. Na super, im Iran waren alle bekifft und hier sind alle Autofahrer betrunken. Aber der Verkehr ist wirklich nur sporadisch, und die Fahrer sind ob unseres Anblickes so verdutzt, dass sie immer ausreichend Abstand lassen.
Die Temperatur erreicht nun nur noch angenehme 40 Grad, da uns ein frischer Nordwind ins Gesicht bläst. Erschwerend kommt aber hinzu, das die Russen beim Strassenbau extrem viel Teer verwenden. Die oberste Schicht durch die Sonne aufgeweicht, erhöht das den Rollwiderstand der Reifen beträchtlich. Wenn wir hinter uns blicken, sehen wir unser Reifenprofil im Asphalt eingeprägt.
Der Tourismus in Buchara ist fest in der Hand von 11-jährigen perfekt Englisch sprechenden Mädchen die die Neuankömmlinge zu ihrem Familienheim zerren. Solche Privatunterkünfte sind meist besser als die Hotels und für fünf Dollar zu haben.
Auch wir wurden sofort von der Strasse evakuiert und sehr angenehm und unkompliziert in eine Familie integriert. Quasi eine uzbekische Vorzeigefamilie. Abends kamen immer ein paar Ami-Mädels vom Peace-Corps zum Essen, einer konnte ich mein "Lord of the rings" schenken.
Eine geile Stadt !
Im
Schatten von Maulbeerbäumen am Rande eines kleinen Teiches in der Stadtmitte
mit Aussicht auf Minarettürmen, alten Karawansereien ist die Stadt ein
wahrer Genuss.
Endlich kaufte ich mir auch einen fliegenden Teppich. Die Feilscherei war richtige Schwerarbeit. Um von den Touristenpreisen herunterzukommen, wetzte ich zwischen 2 gegenüberliegenden Teppichläden hin und her und generierte eine Art Anbieterpreiskampf. Irgendwann hielt ich ihn in den Händen, schickte den Lappen aber mit der Post, so dass er sich auf dem Weg nach Deutschland nicht verfliegen konnte.
Gegen den Wind ging es zwei Tage später mit dem Rad weiter nach Samarkand. Es war wieder unerträglich heiss, ab 12 Uhr mittags brannte die Sonne auf den Schädel das man Kopfweh bekam. So gab es immer einen Zwang zur 4stündigen Pause, wenigstens haben die Bauern überall köstliche Wassermelonen verkauft, von denen konnte ich nicht genug bekommen.
Die zweitgrösste Stadt Usbekistans ist eine der ältesten Städte der Welt und untrennbar mit dem Mythos Seidenstrasse verbunden. Vor 25 Jahrhunderten war hier die Hauptstadt des mächtigen Staates Sogdiana. Im Frühling 329 vor Christus ist Samarkand vom griechisch-mazedonischen Heer an der Spitze mit Alexander dem Großen erobert worden.
Samarkand wurde im 14ten Jahrhundert von Amur Timur, einem
Nachfahren von Dschingis-Khan zur Hauptstadt seines
Reiches gemacht. Amur Timur hat nicht nur 27 Länder erobert und gebrandschatzt.
Im Gegensatz zu Dschingis-Khan, der sich ausschliesslich aufs Überfallen,
Niederbrennen Ermorden und Auslöschen von der Bevölkerung beschränkte,
nahm Timur die Baumeister aus Persien als Gefangene mit um dort die prachtvollen
Bauten die heute das Bild von Samarkand und Buchara prägen, zu errichten.
Ganz aus der Familientradition fiel dann Timurs Enkel Ulughbek heraus der Samarkand weiter ausbaute. Ulugbek war nicht nur Herrscher sondern auch hervorragender Gelehrter der Epoche. Und zwar Astronom, er lies in Samarkand ein Observatorium errichten in dem er 200 bis dahin unbekannte Sterne entdeckte und katalogisierte. Ulugbek regierte vierzig Jahre über den Staat, wobei Samarkand zu einen der weltumfassendsten Zentren der Wissenschaft geworden ist. Die Schule Samarkands brachte die zu dieser Zeit herausragendsten Astronomen und Mathematiker hervor.
Er wurde leider bald auf Betreiben seines Sohnes enthauptet und die Kleriker liessen das Observatorium abreissen. Also die selbe Farce wie in Europa zu dieser Zeit. Wie in Buchara bestimmen gigantische Moscheen das Stadtbild, reich verziert mit fresken und bemalten Kacheln. 2 Tage lang durchstreiften wir die Stadt und entdecken ihre Wunder. Bestechend ist die riesige türkisfarbene Kuppel des Gur-Emir Mausoleums welche die Begräbnisstätte Timurs beherbergt. Es fällt uns auf, dass in Usbekistan die Moscheen und Heiligtümer, im Gegensatz zum Iran, eher Touristen als Betende bevölkern. Der Islam wird hier wohl weniger fundamental gelebt.
Nachdem wir die Rock-Bottom Option Hotel Sharq durch den Hintereingang verlassen mussten, da eine Polizeirazzia im Gange war und die Leitung uns ohne staatliche Ausländerabzocklizenz für die normalen 2 Dollar beherbergte, sind wir dann zum Bahnhof geradelt.
Wir wollten die 250km nach Tashkent nochmals Zug fahren da
wir in Visazeitnöten waren. Am Bahnhof wurden wir wieder
einmal mit der russischen Beamtenmentalität konfrontiert. Nachdem uns das
normale Ticket sowieso verweigert wurde da die Ausländer vierfach überhöhte
Sondertarife zahlen, verwies man uns auf den entsprechenden Devisenschalter,
der jedoch nicht besetzt war. Da die Abfahrt des Zuges näherrückte,
aber kein Beamter sich hinter den Tresen bequemte, begannen wir das Personal
aufzumischen. Da endlich nannte man uns einen untragbaren Preis, der auch noch
im Fünfminutentakt anstieg. Den ersten Zug liess man uns schon verpassen,
der Zweite fuhr in 10min, da drohten wir als letztes Mittel damit, mit dem Bus
zu fahren. Plötzlich ging alles sehr schnell und wir einigten uns auf 8
Dollar. Man muss sich dies Szene mal auf dem HBF München vorstellen...
.
Nach der Fahrt nach Tashkent quartierten wir uns im schäbigen Hotel Rossia ein und bemühten uns um das kirgisische und chinesische Visa. Die Chinesen vergeben Ihre Visagültigkeitsdauer wohl nach der Nasenlänge. Alle vor uns durften unterschiedlich lange in China verweilen, uns bot man 20 Tage an, viel zu kurz. Nachdem wir schon beschlossen hatten, nach Bishkek zu fahren setzten wir noch mal alles auf eine Karte und versuchten, mit dem Hinweis auf unser Transportmittel eine längere Visa-Gültigkeitsdauer zu erwirken. "It is not permitted to enter China by bike" schrie der Beamte plötzlich mit verzerrtem Gesicht und rrrums, die Klappe zu.
Das wars ! In der Kantine der indonesischen Botschaft treffen wir den deutschen Botschafter und hören, das ab Juli das uzbekische Visum für Deutsche wegfallen soll.
Der Besuch der chinesischen Beamtensäcke lohnte sich trotzdem, da wir Cass und Rosal trafen, die mit dem Tandem unterwegs sind (www.tandemtoturkestan.com) und sehr angenehme Zeitgenossen darstellten. Wir hörten schon in der Türkei von ihnen und haben sie nun endlich eingeholt. Sie erzählten uns von weiteren zwei Deutschen auf dem Rad, die wir ebenfalls auf der chinesischen Botschaft in Bishkek treffen sollten.
Das ist eine der wundervollen Seiten einer Radreise in Zentralasien. Es sind ausser Dir so wenige andere Individualtouristen unterwegs, alle laufen einem früher oder später über den Weg.
Gemeinsam mit Cass und Rosal verlassen wir Tashkent über einen 2300m-Pass ins Fergana-Tal welches die Grenze zwischen Pamir und Tien-Shan zieht. Ausgedehnte Anbaugebiete mit reichen Obst- und Gemüsegebieten und riesige, endlos scheinende smaragdgrüne Baumwollfelder bestimmen das Bild. Zu viert geniessen wir ein paar wundervolle Tage und dürfen meist privat bei Einheimischen übernachten, unvergessliche Erlebnisse waren das.
Zahlreiche
Polizei- und Armeeposten fanden sich an strategisch wichtigen Pässen und
Strassenkreuzungen. Wir wurden als <Sportsmen> jedoch immer mit Hochachtung
behandelt. Geschichten anderer Reisenden, die immer wieder mit geldgierigen
Polizisten konfrontiert wurden können wir nicht bestätigen. Möglicherweise
hielt man uns für ebenso arme Schlucker, die sich nicht mal ein Auto leisten
können.
Wir separatieren uns in Namangan, Cass und Rosal fahren nach Osh und wir direkt zur kirgisischen Grenze. Wohl hat noch nie ein Ausländer diesen winzigen Grenzübergang passiert, sie wissen dort nicht so recht was sie mit uns anfangen sollen. Anscheinend haben sie kein Ausreisestempel und wollen uns zur nächstgrösseren Übergang schicken, 100 Kilometer entfernt. Wir lehnen dies aber ab und demonstrieren Sitzfleisch. Nach 3 Stunden hat jeder der 10 Uniformierten oder sonstigen dubiosen Funktionsträgern unseren Pass von vorne bis hinten durchgeblättert. Für das uzbekische Visum interessiert sich eigentlich keiner, eher für mein amerikanisches oder Rolands libysches. Einmal kommt einer an und bietet an, uns illegal über die Grenze zu bringen, das lehnen wir jedoch dankend ab. Sie telefonieren ein paarmal in die Distriktshauptstadt, dann wieder Pause und Tee trinken. Schliesslich müssen wir versichern, nicht wieder nach Uzbekistan einzureisen. Man entlässt uns erstmal ohne Ausreisestempel zu den Customs, wo wir wieder die Ausrüstungsshow abziehen müssen, und dann Richtung Kirgistan.
Kirgisistan – Land of the Horsemen
Bischkek -Isy Kul -Song Kul -Naryn
Wir fahren gespannt die 800 Meter zum kirgisischen Grenzposten. Er besteht aus
2 verrosteten alten Bauwagen, auf denen mit weisser abblätternder Wandfarbe
in schrägen Lettern "Kirgistan" aufgepinselt ist. Wir sind auf alles gefasst,
nur nicht darauf, dass der Posten verlassen ist, und die Beamten auf der anderen
Seite des Bewässerungskanales im Unterhemd auf einem Bettgestell
Karten spielen. Sie winken uns desinteressiert zu, unsere Pässe und Visa
interessieren sie offenbar nicht, wir bekommen auch kein Einreisestempel.
Verwundert machen wir uns auf den Weg nach Sary-Tash. Die Strasse ist gesäumt mit bunt-gekleideten Frauen, die mit einem fetten Grinsen im Gesicht leckere Melonen feilbieten. Das Pferd ist Hauptverkehrsmittel. Alle Männer haben weisse, mit schwarzen Ornamenten verzierte Filzhüte auf, Robin Hood im Sherwood Forest hatte auch so ein Ding, nur in Grün
Wir passieren kolossale Industrieanlagen, riesige, verrostete Stahlkonstruktionen, Förderbänder und marode Schornsteine. Nach dem Zusammenbruch der UDSSR wurden die meisten Betriebe aus Unrentabilität geschlossen und gigantische Ruinen blieben zurück. Jene welche nicht weg wollten oder konnten, fristen nun ein trostloses Dasein in den verfallenen Plattenbauten.Die Strecke von Sary-Tash nach Bishkek ist ein landschaftliches Highlight wie wir es seit der Überquerung des iranisch-turkmenischen Grenzgebirges nicht mehr genossen haben. Erstmal ging es tagelang in ständigem Auf und Ab entlang der Stauseen durch die Narynschlucht nach Toktogul. Abenteuerlich war die Strasse von den Russen in den Fels gesprengt worden. Den Mähdrescher auf halber Strecke hat wohl der Steinschlag zerrissen, aber er hatte dort auch sicherlich nix verloren.
Ab Toktogul nahmen wir den 3175m hohen Ala-Bel-Pass in Angriff, bis dato der höchste Punkt auf der Reise. Die Strasse wurde gerade ausgebaut, von der Weltbank finanziert. Der Strecken-abschnitt hinauf zum Pass wurde von einem türkischen Team gebaut, in dem Roadworkers Camp machten wir Station und wurden mit köstlichen türkischen Essen bewirtet. Im Regen gings gestärkt hoch zum Pass wo wir in der Hütte eines Automechanikers übernachteten. Der 3600m hohen Teo-Asnu-Pass über die Ala-Too-Kette bildete schliesslich die letzte Barriere zwischen uns und der riesigen kasachischen Steppe.
Allgegenwärtig sind die Bergnomaden, die den Sommer in ihren Yurten verbringen. So gut wie alle ihre Verbrauchsgüter selbst produzierend besteht ihr Reichtum meist aus einer grossen Herde Pferde und ein paar Schafen. Viele verkaufen Stutenmilch am Strassenrand, welche meistens vergärt ist und ziemlich breit macht. Zum Radfahren eher ungeeignet.
Am 23. Juli erreichen wir die Hauptstadt Bishkek, nachdem wir die 2500 Höhenmeter vom Ala-Too-Pass hinuntergefräst sind bis das die Reifen rauchten.
10 Jahre Marktwirtschaft haben auch hier eine seltsame Szenerie geschaffen, die Neudefinition der postsowietischen Staaten geht offenbar nicht ohne Probleme vonstatten. Wie schon in Tashkent und Ashgabad ist zu beobachten, das es kaum eine Mittelschicht gibt. Cafes und Supermärkte mit Importgütern schossen wie die Pilze aus dem Boden, sie sind jedoch meistens leer, weil nur die dünne Oberschicht sich das Angebot leisten kann. Da die Betriebs-kosten für Laden-Geschäfte extrem niedrig sind, rentieren sie sich wohl trotzdem.
An alle studentischen Abenteurer: Alte Peugeots nach Mauretanien verschachern ist mega-out. Gebrauchte Audi, Mercedes und BMW nach Kirgistan zu verticken ist mega-in. Die Gewinn-spanne ist gute 60-100%, dafür muss man allerdings 7000 Kilometer am Steuer sitzen und sich mit der Mafia in Kasachstan und Russland herumschlagen.
Die arme Landbevölkerung die zum Einkaufen in die Stadt kommt, bevölkert ausschliesslich den überaus lebendigen Bazar. Die grossen Verlierer sind die Alten, die ihr ganzes Leben gearbeitet haben, aber nun vielleicht 20 Mark Rente im Monat bekommen. Sie sitzen am Strassenrand und verkaufen ihre letzten Tischdecken.
Der Reichtum Kirgistans liegt eindeutig in seiner herrlichen Natur, einer Mischung aus Kanada, Wallis und Engadin. In der Schweiz Zentralasiens liegt auch der berühmte Kan Tengri dessen Name Gewicht unter den Bergsteigern dieser Welt hat. Nur 30 km südlich von der Hauptstadt liegt der Ala Archa - Nationalpark, gut drei Duzend 4000er erheben sich weissgetüncht über lieblichen grünen Tälern. Das ganze Gebiet ist im Gegensatz zu den Alpen völlig unerschlossen und eine echte Herausforderung für verwöhnte Alpinisten.
Nach meinem insgesamt siebten Besuch einer chinesischen Botschaft
in Deutschland, Uzbekistan und Kirgisistan halte ich endlich mein erstes chinesisches
Visum in der Hand. Insgesamt 100$ hat
es gekostet, dafür wurden die Beamtengeschwindigkeit auch von 0 auf 2 Visa/Stunde
beschleunigt. Wie auch immer, die Selbstdarstellung der Schlitzaugen im Lande
der Kirgisen ist äusserst mangelhaft. Das vergitterte und getönte
Fenster zum Hof der Konsularabteilung besitzt nur eine handtellergrosse taubenschlagförmige
Öffnung, vor der sich in gebückter Haltung die Visaanwärter drängeln,
als würde darin ein Specht goldene Eier legen. Die Schaukästen vor
den
Botschaften zeigen für gewöhnlich schöne Landschaften, lachende
Menschen und sportliche Highlights der repräsentierenden Länder, der
Schaukasten der Republik China hingegen zeigt nur Fotos von Militärparaden,
Raketen, Manövern und z.B. eine Soldatin mit einem Messer zwischen den
Zähnen, die gerade einer Schlange die Haut abzieht.
Wir
machen uns dann auf zum 3700m hohen Tourgart-Pass, welcher in militärischem
Sperrgebiet liegt und die Grenze zu China bildet. Ausländer dürfen
ihn im Gegensatz zu den Kirgisen nur in Fahrzeugen staatlich lizensierter Reiseunternehmen
passieren, nicht unter 150$ zu haben, die Abzocke hat also System. Wir wollten
jedoch zunächst die bewährte "Fahr erstmal zur Grenze und schau dann
blöd aus der Wäsche"-Taktik anwenden.
Der Russe, der uns sein kakerlakenverseuchtes Appartment überlassen hatte und solange bei seiner Oma wohnte, zählte mit fröhlich blitzenden Augen die 50$ die wir ihm für die fünf Tage Bishkek in die Hand drückten. Es ist sicher eine Monatsmiete für ihn. Auf dem Weg aus der Stadt habe ich ein mulmiges Gefühl wegen der vielen deutschen Importwagen, deren Fahrer tollwütig hupend durch die Gegend rasen wie Montag morgends auf der A8 Stuttgart-München. Aus zuverlässig erscheinender Quelle haben wir erfahren das ein PKW-Führerschein auf dem Bazar für 30$ erhältlich ist, für einen LKW-Führerschein zahlt man 70$. Dazu kommt der beträchtliche Wodkakonsum in Bishkek am Wochenende, ich meine natürlich den der Bishkeker.
Es ist jedoch ein kribbelnd schönes Gefühl, wieder auf dem Weg Richtung Kailash zu sein. Die Strasse ist gesäumt mit Marktständen, die Menschen winken uns fröhlich zu. Bald holen wir Ria und Marcus ein, die ein gemässigteres Tempo als wir an den Tag legen. Die beiden wollen an die 2 Jahre unterwegs sein und sind schon letzten September in Deutschland gestartet. Marcus erholt sich gerade von einer Krebstherapie und tut den Faktor Zeit sowieso anders gewichten als Ottonormalkarrierist, Ria ist gerade als Sozialarbeiterin mit 3 Schwererziehbaren 1 Jahr durch Europa gradelt, mit einem Traktor und Bauwagen als Begleitfahrzeug. Nun will sie wohl ein wenig ausspannen J . Wir zelten gemeinsam im einsetzenden Dauerregen, Am nächsten Tag überrollt uns eine Kaltfront und es schneit bis 3000 Meter hinab. Ria und Marcus nehmen eine Abkürzung nach Kochkor zu einem Sommerfest mit Reiterspielen, Roland möchte unbedingt den Isy-Kul sehen, und wir fahren weiter nach Westen. Im scharfen Rückenwind legen wir bergauf ein schnittiges Tempo an den Tag, müssen jedoch kurz vor dem See campieren. Das heisst wir wollen, werden aber in eine Jurte eingeladen was eine gute Gelegenheit darstellt, den Wodka zu erledigen den wir in Bishkek geschenkt bekommen haben.
Am nächsten Tag erreichen ich und Roland den Isy-Kul,
die Perle des Tien-Shan. Der auf 1600 meter gelegene See ist
komplett von 5000ern und Sechstausendern umgeben, nur am Westufer gibt es einen
Durchschlupf. Die aufgrund heisser Quellen aussergewöhnlich hohe Temperatur
begründet ein lokales Mikroklima, wodurch sich zu Sowietzeiten zahlreiche
Kurorte und Heilbäder angesiedelt haben. Die Gegend war bis zum Zusammenbruch
der Udssr für Ausländer gesperrt, da die Russen hier Torpedo-Neuentwicklungen
testeten, wie unromantisch ! Karakol am Ostufer ist übrigens Ausgangspunkt
für ein Trekking zum Kang-Tengri, ein formvollendeter Fast-7000er und jedem
Bergsteiger ein Begriff. Wir halten uns jedoch nicht lange auf, da uns der Winter
in Tibet im Nacken sitzt. Nach dem Knotenpunkt Balkychi am Westufer des Isy-Kul
nimmt der Verkehr schlagartig auf 1 Auto/10min ab und wir radeln durch eine
liebliche Schluchtenlandschaft Richtung Kochkor. Im gesamten Südwesten
des Landes beschränkt sich die ohnehin rudimentär entwickelte touristische
Infrastruktur auf das Shepherd's Life Project, einem Netzwerk von Gastfamilien
in den Talorten und auf den Bergalmen. Die Familien stellen den Abenteürurlaubern
für einen festgelegten Betrag Unterkunft und Verpflegung in Jurten bereit
und bieten einen tiefen Einblick in das Leben auf dem Lande. Das Projekt ist
von der Schweizer Agentur Helvetas organisiert und das lockt natürlich
überproportional viele Schweizer ins Land. Die sind auch alle ganz aus
dem Häuschen, man stelle sich einmal das Rhonetal vor mit nix als ein paar
verstreuten Jurten und Maultierpfaden. In Kochkor machen wir Station und fahren
mit dem Sammeltaxi zu einer abgelegenen Hochalm um die dort stattfindenden Reiterspiele
zu beobachten. Der Fahrer sitzt im Go-Kart-Stil hinter dem Steür seines
Lada und holt wirklich das Letzte aus der Kiste heraus. Nach dem Motto "Ich
hupe also bin ich" scheucht er gnadenlos alles tierische und menschliche von
der Piste vor ihm. Die Szenerie am Zielort ist phantastisch. Ein breites Hochtal
zieht sich von den Gipfeln der Ala-Too-Range hinab nach Süden. Auf einer
sanft gewellten Wiese mit den Massen 10x20 Kilometer haben sich ein paar Bergbauern
angesiedelt. Nur wenige sind es, die den harten und entbehrungsreichen Kampf
um das tägliche Brot auf sich nehmen. Jaja, muss anno beim Watzmann ähnlich
gewesen sein. Die Nomaden leben hier wirklich völlig in, mit und von der
Natur und werden aus dem Restrukturierungsprozess des Landes weder als Gewinner
noch als Verlierer hervorgehen, es wird einfach alles so bleiben wie seit Hunderten
von Jahren schon. Die Basis des Reichtums bilden neben den saftigen Almwiesen
eine Herde Pferde, eine Herde Schafe und Ziegen, ein paar Rinder und ein paar
Hühner. Die Pferde werden hauptsächlich als Reittiere und Milchlieferanten
genutzt. Vergorene Stutenmilch ist ein Hauptnahrungsmittel Kirgistans, und soll
angeblich gegen alle Krankheiten helfen. Sie wird überall am Strassenrand
verkauft und Kleopatra, die ja angeblich ganz gerne in dem Gesoeff gebadet hat,
koennte sich hier ganze Schwimmbäder füllen. Die Schafe und Ziegen
werden komplett verwertet, wer kein Lammfleisch mag, ist in Kirgistan ein wenig
falsch. aus dem Fell der Schafe wird der dicke Filz hergestellt, der als
wasserdichter
Zeltstoff dient. Das Festival hat sich echt gelohnt, allerlei neckische Spielchen
stehen auf dem Programm. Z.B. "Wrestling" mit oder ohne Gaul, den
Hoehepunkt bildet jedoch eine Art Polo zu Pferd. Allerdings wird anstelle eines
langweiligen Balles ein Schafsbock verwendet, dem vorher Kopf und Beine abgehackt
werden. Das ganze Spiel verlief ausgesprochen chaotisch und endete in einer
wilden Schlägerei. Zurück in Kochkor machen wir uns auf den Weg zum
Song-Kul Der Song-kul ist eines der Highlights Zentralkirgistans. Der fischreiche
See aud 3000 Metern ist umgeben von schneebedeckten Gipfeln und endlose saftige
Wiesen saümen die Ufer. Alle 5km findet sich
eine Nomadenfamilie nebst Viechzeug. Mensch und Tier strotzen hier vor Gesundheit,
alle haben sehr sehr viel Platz Wir verbringen hier 3 Tage bei einer Gastfamilie
und stopfen uns mit frittiertem Fisch voll. Die Attraktion ist "Horse without
Guide" für umgerechnet 60 Cent pro Stunde. Die Viecher machen einen fitten
und gut erzogenen Eindruck. In krassem Gegensatz zu den deutschen Reitschulen
darf man hier nicht erst nach 40 Stunden aus der Halle raus sondern man galoppiert
einfach drauflos. Hier Gas, dort Bremse, alles klar... Mit Yippiii und Tralala
fegen
wir durchs Gelände wie anno John Wayne. Die sporadischen Gewitterschauer
sitzen wir in diversen Jurten bei einer Tasse Tee aus. Das Unglück nimmt
seinen Lauf als plötzlich ein Hund hinterherjagt und der Gaul durchgeht,
Urgewalten entfesselnd. Die Bremse geht nicht mehr und ich klammere mich ratlos
an die Mähne. Da mir keiner gesagt hat wo die Notbremse ist, nehme ich
den Emergency-Exit, mit wenig Selbstkontrolle. Leider ist das Gelände schwierig
und ich lande mit der Breitseite auf der Kante eines Wassergrabens. Ich dachte
mich zerreisst es. In Deutschland wäre ich im Hospital gelandet, mitten
in Kirgistan ist das jedoch nicht so einfach. Die nächsten Tage ernähre
ich mich von den starken Schmerzmitteln, die mir mitführen, wenigstens
ist als einzige Nebenwirkung nur Heisshunger auf kirgisische Nationalgerichte
festzustellen. Logistisch günstig ist denn auch, das ich anstelle eines
Schweizer Touristen mit dem Taxi ins Tal fahre während er mein Rad 120km
durchs Offroad-Gelände quält. In Naryn, der südlichen Sackgasse
des Landes habe ich
dann ein paar Tage Erholung während wir unseren Transfer über den
Torugart-Pass organisieren.
Dem Kapitel sind im Lonely-Planet-Reiseführer 10 Seiten gewidmet. Die Chinesen mögen keine Individualtouristen, und haben es sich sowieso mit jedem Nachbarland verscherzt. Es hat dieses Jahr noch niemand geschafft, ohne ein teures Spezialpermit für das militärische Sperrgebiet. Ausserdem muss man auf der chinesischen Seite von einem staatlich lizensierten Reiseunter-nehmen abgeholt werden, die eigentliche Touristenmelkmaschine. Wir fahren also für 100$ each mit einem organisierten Transport hinüber. Zwei VW-Transporter bringen die Gruppe, der wir uns angeschlossen haben, durch die kirgisischen Checkpoints und das Niemandsland zum Schlagbaum auf der chinesischen Seite.
Kashgar – Yecheng
Auf der chinesischen Seite wartet ein heruntergekommener Bus, der die 16-köpfige Gruppe durch die Checkpoints zum Zoll bringt. An jeder Station belastet die ewige Warterei, niemand darf den Bus verlassen. Ein ätzender Tag. Mit uns im Bus sitzen auch 3 Slowenen mit ihren Mountain-bikes und nagelneuer Camping-Ausrüstung. Sie wollen ebenfalls ins Land der Träume. Noch ein wenig grün hinter den Ohren vermuten sie in jedem Businsassen einen Spitzel der Chinesen und bekommen schier die Krise als ich nur das Wort Tibet erwähne.
Über Waschbrettpisten brettern wir durch die stark erodierten Südausläufer des Tien-Shan und erreichen schliesslich das sagenumwobene Kashgar am Westrand der Taklamakan - Wüste. Während die ganze Reisegesellschaft im Touristendurchlauferhitzer Chini-Bagh-Hotel absteigt, dem ehemals britischen Konsulat, fragen wir uns durch zum standesgemässen Noor-Bish-Hotel in der quirligen Altstadt. Dort sind wir garantiert die einzigen Europär. Um einen engen 3-stöckigen beblumten Innenhof sind einfache Zimmer mit Terrassen angeordnet, für 8 Mark die Nacht. Die Gäste sind pakistanische Stoff-Händler, ein bärtiger Alter stimmt jeden Morgen um 8 Uhr eine melodische Ballade an, Orient pur !
Kashgar
fasziniert. Keine Metropole ist weiter von irgendeinem der Weltmeere entfernt
wie diese Oase am Westrand der Taklamakan was soviel heisst wie "Wer einmal
hineingeht kommt nicht wieder hinaus". Umrahmt vom Pamirgebirge im Westen,
dem Himmelsgebirge Tien Shan im Norden und dem Kun Lun im Süden markiert
Kashgar einen Schnittpunkt jahrtausendealter Handels-Trassen der Seidenstrasse.
Eine Fernstrasse führt nach Norden über den Torugart-Pass nach Kasachstan,
der Karakorum-Highway verbindet das Tarimbecken mit dem arabischen Meer, eine
südliche und eine nördliche Umgehung der Taklamakan führt von
Kashgar in das Herz Chinas.Marco Polo war sicher nicht weniger fasziniert wie
wir. Die zentrale Lage fördert einen einzigartigen Stadt-Charakter. Das
Vielvölkergemisch aus Uiguren, Kasachen, Kirgisen, Tadschiken, Usbeken
und Chinesen lebt seit jeher von Handel und Gewerbe, der Sonntagsmarkt ist einer
der grössten und sehenswertesten Asiens. Eben diesen besuchen wir dann
auch und zum ersten Mal sehe ich die sagenumwobenen Schneeleoparden, leider
nur als Fellmützen. Die amerikanische Touristin, die vor mir um so eine
Mütze feilscht, ist wohl richtig dämlich. Erstmal muss sie das Fell
beim Zoll sowieso abgeben und ihr Kauf führt dazu, das nun noch mehr der
seltenen Tiere gemeuchelt werden.
Auf meiner Einkaufsliste steht aber auch was Warmes zum Anziehen,
und ich entscheide mich für eine langzottelige Schafsfell-Weste. Denke,
bei einem Schlechtwettereinbruch auf 5300 Meter wird sie mir noch gute Dienste
leisten. Mit meinem kirgisischen Seppl-Hut und dem Uiguren-Messer am Gürtel
bin ich denn auch erstklassig gerüstet fürs nächste Vorstellungsgespräch.
Man merkt den Händlern übrigens die 2000 Jahre Erfahrung an, trotz
eifrigen Feilschens habe ich immer das Gefühl, beschissen worden zu sein.
Interessant ist auch, das die hier immer noch Türkisch verstehen, zumindest
die Zahlen. Der Tiermarkt ist nichts für schwache Herzen. Dicht gepackt
werden riesige Hornochsen, Ziegen, Schweine, Pferde und Esel feilgeboten, ein
lautstarkes Geschachere und Gefeilsche um die armen Geschöpfe. Ein jeder
Bewohner Kashgars scheint sich seinen Lebensunterhalt mit Handel und Handwerk
zu verdienen. Ein buntes Treiben in allen Gassen auch ausserhalb des Sonntagsmarktes.
In einer kleinen Werkstatt am Strassenrand habe ich mir Spezialwerkzeug angefertigt,
um endlich mal das Ritzel an meiner Getriebenabe zu tauschen. Die 10jährigen
Azubis bruzzeln mit dem Schweissapparat ohne jeglichen Augenschutz, unfassbar
! Mit dem Arbeitsschutz haben es auch die Lackierer nicht so, die in einer Garage
Stahlregale anspritzen, ohne Mundschutz natürlich.
Regale sind eigentlich sehr selten, alle Werkstätten reparieren grundsätzlich auf dem Boden des Gehweges vor dem Laden, Bauteile sind in Haufen und Säcken nebendran gelagert. Die vielen Radwerkstätten verfügen meist nur über Flachzange, Hammer und ein paar Schraubenschlüssel. Das mit dem Recyling ist aber Spitze. Aus alten Ölfässern werden Öfen, aus LKW-Reifen werden Wassertröge, und aus dem wenigen Holz wird jeder fingernagelgrosse Span irgendwas. Vorbildlich !
Vor uns liegt die härteste Etappe der ganzen Tour. 1500 km sind es nach Ali, dem Verwaltungs-zentrum und der Hauptversorgungsstation in der tibetischen Hochgebirgswüste. Von dort sind es dann noch einmal 1100 km nach Lhasa, alles offroad. Nachdem wir alle wichtigen Besorgungen erledigt hatten, fuhren wir zunächst mit dem Bus von Kashi 300 Kilometer nach Yecheng an den Südrand des Tarimbeckens. Uns sass das Ablaufdatum unseres chinesischen Visums im Nacken, die Entscheidung war aber auch sonst ganz weise, da die ganze Fahrt über heftige Staubstürme über die Ebene fegten und die Sicht zeitweise auf 20 Meter beschränkten. Nach einer Nacht in einer 1$-Dormitory in Yecheng zusammen mit ein paar Langzeittravellern die mit uns im Bus sassen, machten wir uns schwerbeladen auf den Weg nach Süden ins KunLun Shan, das nördliche Grenzgebirge des tibetischen Hochplateaus.
Der Start war recht trostlos, wegen der staubigen Luft war von den Bergen zunächst nicht viel zu sehen und schwere Regenwolken hingen in der Luft. Leicht ansteigend ging es über einen 30km langen Schwemmkegel zum Eingang eines Nord-Tales des KunLun. Entschärft wurde die Stimmung und auch unsere Nahrungsmittelversorgung durch die uigurischen Küchen in den Dörfern, wo wir das traditionelle Laghman (Nudelsuppe mit Gemüse) geniessen durften. Die uigurischen Köche besitzen die Fähigkeit, innerhalb weniger Minuten mit blossen Händen aus einem Klumpen Teig hunderte meterlanger und milimeterdünner Spaghetti zu zaubern und wären damit die Attraktion auf jedem deutschen Strassenfest. Die Küchen-Hygiene allerdings auch.
Die
unasphaltierte Militärstrasse aus dem Tarimbecken herauf nach Tibet ist
ein echtes Superlativ unserer bisherigen Reise. Als eine wirklich harte MTB-Strecke
stellt sie höchste Anforderungen an Moral, Material und Gesundheit. Die
Strecke ist eigentlich für Ausländer gesperrt, die korrupten lokalen
Behörden haben jedoch Devisen gewittert und lassen Fremde eine saftige
Strafe zahlen, sobald man es einmal in die Distriktshauptstadt Ali "geschafft"
hat. Dafür darf man dann auch bleiben. Wiederholungstätern mit dem
Fahrrad sei empfohlen, die 1120 km Offroad nur bei bester Gesundheit und mit
guter Ausrüstung anzugehen. Zwar könnte man in Notfällen Trucks
anhalten, nach Niederschlägen kann die Strasse jedoch tagelang unpassierbar
sein. Es ist zu beachten, dass man sich auf 250 km Länge oberhalb 5000
Meter Meereshöhe befindet. Durch die Anstrengung und die starke UV-Strahlung
ist das Immunsystem stark belastet. Stoffwechsel-prozesse laufen auf dieser
Höhe ohnehin nur eingeschränkt ab und selbst kleinste Wehwehchen heilen
nur sehr langsam.
Die Piste nach Tibet wurde geradewegs in den natürlichen
Untergrund planiert, nur in Felsen gesprengte Abschnitte sind mit Sand oder
Kies präpariert. Die Oberfläche wechselt zwischen zermürbendem
Waschbrettprofil, knöcheltiefem Sand und bis zu kopfgrossen Flusskieseln.
Abwechslung bieten in manchen Regionen die zahlreichen kleineren und grösseren
Bachläufe die es zu durchqueren gilt. Ob per Rad oder barfuss, Vorsicht
ist geboten vor den unergründlichen schlammigen Pfützen, die gerne
mal halbmetertief sein Können, ich bin selber in einer gelandet. Auf den
Hochebenen verliert sich die Strasse oft in Dutzenden von einzelnen Fahrspuren,
auch die Truckdriver versuchen dem grausamen Waschbrettprofil auszuweichen.
Mit 10 cm Amplitude und 50 bis 70 cm Wellenlänge haut es einem dort nämlich
sämtliche Plomben aus den Zähnen und lässt einen am Sinn der
ganzen Unternehmung zweifeln. Weniger störend ist der gelegentliche Kolonnenverkehr
des chinesischen Militärs. Fröhlich winkt einem die Besatzung zu ehe
sie uns in eine grauschwarze Wolke einhüllten. Die Trucks bringen Kohle
für den nächsten Winter nach Ali. Die Militärlastwagen sind noch
in bemerkenswert gutem Zustand während die privaten LKW aus dem letzten
Loch pfeifen. Vor allem Reifenplatzer sind sehr häufig. Die Strasse ist
gesäumt mit Zylinderkopfdichtungen, gerissenen Keilriemen und geplatzten
Kühlerschläuchen. Stossdämpfer, Anlasser, Lichtmaschinen und
Überreste geplatzter Frontscheiben sind ebenfalls zu finden.
Durch wilde einsame Schluchten schleppten wir uns also über einen 3200m und einen 4800m-Pass und näherten uns dem Kun-Lun-Hauptkamm. Unterwegs sammelten wir Thomas auf, ein Schweizer der schon seit 15 Jahren unterwegs ist und sich in Kashi für 80$ ein taiwanesisches FuKeNa-Fahrad gekauft hat. Er sollte es damit sogar bis zum Kailash schaffen, jedoch mit viel Glück und Pannen.
Ein Tag später holten wir dann noch Luka, Gorast und Matthei ein, die drei slowenischen Studenten die schon mit uns im Zwangstransport über die chinesische Grenze sassen. Wir freuten uns, sie wiederzusehen. Wir waren also, was keiner gedacht hatte, plötzlich eine Gruppe zu sechst und zelteten sogar an den gleichen Plätzen, weil es zu sechst einfach lustiger zugeht.
Ich war stark erkältet und habe mich ziemlich über
die Pässe gequält, während die Anderen locker-flockig die Serpentinen
hinaufgejagt sind. Besonders Roland war phänomenal fit und hat alle abgehängt.
Sie haben aber immer gewartet und gemeinsam erreichten wir Xaidulla , eines
dieser verkommenen Überbleibsel aus der Zeit des Strassenbaus. Ohne fliessend
Wasser, Kanalisation und Toiletten vegetieren hier chinesische "Geschäftsleute"
in vermüllten Baracken vor sich hin und leben davon, den Durchreisenden
Unterkunft und Essen zu bieten. Wir legten einen willkommenen Ruhetag ein, da
wir nun 10 Tage durchgefahren waren und auch Luka ein wenig höhenkrank
war.
Schliesslich nehmen wir den letzten Pass in Angriff, jenen, bei dem es auf der anderen Seite nur ein paar Meter runtergeht. Von 3500m auf 5300m und dann vorerst nicht mehr unter 5000m. Der Weg wand sich in zahllosen Kurven dem Höhepunkt entgegen, ab und an blockierten liegengebliebene LKW die Piste. Ein Fahrer campierte schon eine Woche da oben und wartete auf ein neues Getriebe. Der 5300m-Pass war auch die Wasserscheide des Kun-Lun-Shan und erreichten die grösstenteils abflusslose tibetische Hochebene. Der Anblick haut uns schier aus den Radschuhen.
Tibet - The Land of the Nomads
Shiquanhe - Mt. Kailash - Lake Manasarowar - Saga - Friendship Highway
Jahrhundertelang war Tibet ein sagenumwobenes und geheimnissvolles Land. Gewaltige Gebirgsmassive und Tibets wechselnde Regierungen hatten in der Vergangenheit das Land erfolgreich und unnachgiebig vor Fremden abgeschirmt, zuletzt waren es die Chinesen, die keine Augenzeugen für den Genozid an den Tibetern wollten. Erst in jüngster Zeit öffnen die Chinesen das Land einem kontrollierten Tourismus, nachdem sie leider erfolgreich die tibetische Kultur und Widerstandskraft unterdrückt haben. Den äussersten Nordwesten des tibetischen Plateaus, den wir nun erreicht hatten, gehört eigentlich zum indischen Ladakh. China und Indien streiten sich auch darüber, militärisch ist jedoch nur China präsent und hat als Zugriffsmöglichkeit die Militärstrasse in die Wildnis planiert, die wir nun befahren.
Vor dem Schlafengehen gab es immer den obligatorische Blick
hinauf zur Quelle der Schöpfung: In der dünnen Atmosphäre
auf 5000 Metern sind blossem Auge Abertausende von Sternen zu sehen, die Milchstrasse
zieht sich als gestochen scharfes Band über den Zenit. Wie schön die
Welt doch ist!
Der Flug der Wildgänse über dem Nyak-Lake, die strahlenden Sonnenuntergänge über der Ladakh-Range, die Vollmondnacht als keine 50 Meter von den Zelten eine Herde Wildpferde ästen, das sind unvergessliche Erlebnisse die sich auf ewig ins Gedächtniss einbrennen. Durch die allgegenwärtige Fragilität und Brutalität des Lebens dort oben wird auch das Verhältniss von Mensch zur Natur überdeutlich ins rechte Licht gerückt. Keine noch so diffizile technische Entwicklung der Menschheit vermag deren Abhängigkeit von einer intakten Umwelt zu untergraben.
Soweit man blicken kann bestimmen gelbgrüne Feuchtwiesen das Bild. Dazwischen schlängeln sich kleine Flussarme, in der Sonne glitzernd. Nur ganz vereinzelt sieht man hier die Zelte der tibetischen Hochgebirgsnomaden. Die Menschen die da oben in Tibet ihre Existenz sichern und mit ihren Yak- und Schafherden seit Jahrhunderten im Einklang mit der Natur lebten sind nicht von fossilen Brennstoffen oder modernen Konsumprodukten abhängig.
Die überaus nützlichen Yaks liefern nicht nur Fleisch, Butter und Milch, sondern auch Wolle für Kleidung und Dung als Brennstoff. Sie sind zwar störrisch, aber robuste und verlässliche Gesellen.
An den Rand gedrängt werden die Tibeter jedoch durch die chinesische Politik, die tibetische Kultur zu ersticken. So werden Chinesen mit viel Geld und Landschenkungen nach Tibet gelockt, und haben die Tibeter vielerorts schon vertrieben und in eine Minderheit verwandelt.
Die Chinesen unterhalten hauptsächlich Service-Stationen für den Truck-Verkehr und bieten in primitiv zusammengeschusterten Bretterbuden Speisen, Getränke und Übernachtungsmöglich-keiten an.
In Donar, ebenfalls einem Überbleibsel aus der Zeit des Strassenbaus übernachteten wir in so einer "Übernachtungsmöglichkeit". Der Eigentümer zechte gerade mit seinem Kumpel, ohne Rücksicht auf seine müden und zerschlagenen Gäste. Erst nach der 14ten Flasche bekamen sie Schlagseite und begannen, die Bude vollzukotzen. Ein Hilton International haben wir ja nicht erwartet, aber das war richtig eklig. Die Übernachtung landete sofort unter den Top-Ten der miesesten.
Im allgemeinen zelteten wir aber, mit immer dem gleichen Procedere, jeder Handgriff sass. Absatteln, Auspacken, sich wundern, welche Menge an High-Tec man da durch die Landschaft zerrt, Zelt aufbauen, Feldküche aufbauen, kochen, essen, abliegen und von den Wundern des Tages träumen. Natürlich rumpelt man auch in den Träumen dauernd über Stock und Stein :-)
Roland machte uns Sorgen. Eine eitrige Mittelohrentzündung mit gerissenem Trommelfell und Gleichgewichtsstörungen, und das mitten im Nirgendwo, haarig !. Die Antibiotika aus der Reiseapotheke schienen wenigstens den Niedergang zu stoppen. Wir waren jedoch kurz vor Ali und Roland hat es aus eigenem Willen dorthin geschafft.
Nach 19 Tagen haben wir dann das Las Vegas Tibets erreicht.
Nach dem letzten 4800m-Pass wurde alles sehr trocken und sandig, knapp unfahrbar
aber immer noch besser als Waschbrett-piste.
Ali (auf Landkarten als Shiquanhe bezeichnet) liegt 300km nordwestlich des Kailash
im oberen Industal auf 4000m Höhe im Regenschatten des westlichen Himalaya-Hauptkammes.
Ohne Peripherie in die Wüste geklatscht wirkt die chinesische Distriktshauptstadt
eher wie eine Kolonie Ausserirdischer. Wir checken im Hotel Duijudian ein, noch
bezahlbar, jedoch ohne fliessend Wasser, Dusche oder Toilette. Premiere. Wehe
dem der Durchfall hat, eine öffentliche Toilette befindet sich 100m die
Strasse runter und errinnert optisch und geruchsmässig sehr stark an einen
bayrischen Kuhstall, ohne Übertreibung. Wir sind es jedoch gewohnt zu improvisieren
und pinkeln nachts aus dem Fenster wie alle anderen Hotelgäste auch. Nachdem
wir 450 Yuan Sonder-Abripp-Gebühr an die Behörden gezahlt haben, stopfen
wir uns ohne Unterlass mit Köstlichen chinesischen Wok-Gerichten voll und
bereiten uns auf die weitere Reise vor.
Der nächste Streckenabschnitt führte über den Kailash nach Kathmandu. Der Mt. Kailash ist der heiligste Platz in der Welt für Hindus, Jains, Bonpos und die Buddhisten. Die Mystik dieses formvollendeten Berges wurde entscheidend geprägt durch seine Unzugänglichkeit und die
Isolationspolitik der chinesischen Regierung. Mindestens eine 52km-Runde um
den Berg ist Pflicht um von allen Sünden befreit zu werden. Eifrige Pilger
meistern sogar 108 Runden oder messen die Strecke mit ihrer Körperlänge
aus, was mehrere Wochen dauert (Prostration genannt). Dafür
ist dann nach buddhistischem Glauben der sofortige Eintritt ins Nirwana garantiert.
Wir
begaben uns also von Ali aus auf den Weg, schwerbeladen mit Lebensmitteln. Bernd,
Luka, Gorast, Matthei und Thomas. Roland musste leider zwei Tage länger
in dem Kaff bleiben da er noch mit Antibiotika-Infusionen die widerlichen Bugs
in seinem Innenohr killen musste. Angeblich befand er sich jedoch in vertrauenswürdiger
Obhut einer jungen Ärztin aus England.
Nach dem Verlassen der Stadtgrenzen offenbart sich die ganze
Absurdität dieser chinesischen
Beamtensiedlung. Komplett auf die Versorgung durch Kashgar oder Lhasa angewiesen,
gibt es in der staubtrockenen Gegend nix, was auch nur eine Kakerlake zum Aufenthalt
ausserhalb der Stadtgrenzen bewegen könnte. So ist es denn auch gleich
hinter der Tankstelle völlig menschen-leer, ausser uns sowie ein paar mitreisenden
Flöhen. Wir folgten einer sandigen Fahrspur, die sich immer weiter südlich
von der Hauptpiste entfernte, dem Gerücht folgend dass es sich hierbei
um eine Abkürzung in das Indusvalley handelte. Schon bald begann der Weg
anzusteigen und nach 3 Stunden Climb bis kurz unter 5000 offenbarte sich plötzlich
die Kette des westlichen Himalaya in ihrer ganzen Pracht. Schneebedeckte Gipfel
unter gleissendem Sonnenlicht vor einer staub-trockenen Wüstenlandschaft,
davorliegend das Indusvalley als grüne Oase in der sich ein paar Nomaden
mit ihren Yaks tummelten. Das Valley war gigantisch, wir eierten durch knöcheltiefen
Sand eine geschlagene Stunde dem Talboden entgegen. Matthei klagt über
starke Schmerzen in der Brust, wir vermuten ein Lungenödem, er erholte
sich jedoch über Nacht.
Die nächsten Tage waren geprägt durch den üblichen
Wechsel aus Sandfeldern, Flusskiesel-holpern und das jegliche Motivation aufsaugende
Waschbrettprofil. Sowohl bei Gorast als auch bei Luka brechen die Swiss Alpine
3D-Speichen serienweise, nach nur 1500km! Immer
weiter gings das Tal hinauf, unter der Sonne Tibets und im Angesicht des Himalaya.
Belohnt wurden die Mühen durch filmreife
Sonnenunter- und aufgänge deren Erleben ich vielen wünschen würde,
von denen sie aber wohl kaum jemand je zu Gesicht bekommen wird. Die Zeltplätze
im 1000-Sterne-Hotel sind Sahne, fast jeden Tag rückt einer in die Top-Ten-Liste
der Gesamtreise auf. Auf den schlechten Wegen kommt der metitative Aspekt des
Radfahrens
voll zur Geltung. Da man sich dauernd auf die fünf Meter Strasse vor einem
konzentrieren muss, ist das Denken offen für allerlei Exkursionen in die
Vergangenheit und Zukunft. Leider haben wir immer heftigen Gegenwind und Seitenwind,
man bekommt halt nix geschenkt auf dem Weg zum Nirwana. An einer Military Base
können wir noch mal Essen aufstocken sowie ein gerüttelt Mass an erstklassiger
Tsampa.
Es ist kalt. Auf 5000 Metern ist die Strahlungswärme der Sonne der entscheidende Faktor. Die Temperaturschwankungen zwischen Tag und Nacht sind gut 30 Grad und wochenlang bleiben die ersten 2 Schichten ununterbrochen am Körper. Nach langer Nudelsuppendiät schweifen die Gedanken oft zu Mutters Kochtopf oder einem bayrischen Weisswurstfrühstück. Dabei bieten in dieser abgelegenen Gegend diese verfluchten Instant-Noodles einen bedeutenden kulinarischen Fortschritt (Oder auch nicht). Seit Tausenden von Jahren ist der kulinarische Horizont in diesen kargen Gegenden nämlich beschränkt. Tagsüber gibt es als Snack gewöhnlich harten Yak-Käse oder auch mal einen Yoghurt. Abends sammeln sich dann in den braunen Nomadenzelten die barfüssigen Kinder mit den verrotzten Nasen und langen, filzigen Haaren um den zentralen, gusseisernen Ofen, der mit getrocknetem Ziegen- und Yakdung beheizt wird. Die Mutter füllt sie Yakbutter, Salz, Schwarztee und kochendes Wasser in eine meterlange Bambusröhre, in der dann alles mit einem Kolben kräftig durchmischt wird. Der Buttertee wird dann mit Tsampa vermischt, dem gerösteten Gerstenmehl, und zu mundgerechten Bällchen geformt. Das ist für gewöhnlich die einzige Nahrung.
Irgendwann
erreichen wir Misar, ein mieses ärmliches mit Glasscherben übersätes
Kaff, in dem der erholte Roland auf uns wartet. Von dort begeben wir uns alle
zusammen auf den 8 km-Abstecher zu den Heissen Quellen, ein traumhafter Ort
in den Bergen, Pammukale in klein. Zahlreiche buddhistische Monumente und ein
Kloster scharen sich um die brodelnden Wässer, lange Leinen mit Gebetsfahnen
überspannen die Schlucht. Überall Altare mit Gebetssteinen. In der
Ferne kann man den 7700 Meter hohen Khamet sehen, der schon in Indien liegt.
Am nächsten Morgen rollt ein Lkw an, der chinesische Fahrer parkt mitten
in den Kalkterassen und beginnt, die Kiste zu waschen. Roland bekommt schier
die Krise und macht ihn rund. Versucht ihm ein wenig Umweltbewusstsein einzureden...
Der lange, staubige und entbehrungsreiche Weg zur Weisheit führte uns schliesslich zu dem Pilgerort Darchen, auf 4500m gelegen. Der Ort am Fusse des Kang Ringpoche ist eigentlich ein trostloser Ort. Früher ein ruhiges Nest aus gemauerten tibetischen Steinhäusern ist es heute ein glassplitterübersähter Müllhaufen. Neben dem Ort bauen Chinesen eifrig hässliche Ladenzeilen, um den Pilgern das Geld aus der Tasche zu ziehen. Wir trafen das slowenische Pärchen, das ab Kashi zusammen mit dem Extremradler Olaf uns immer 2 Tage vorraus war. Zusammen bezogen wir das Basislager in einem netten tibetischen Lokanta, mit Teppichen behangen und mit Sofas vollgestellt. Als einzigstes Gericht gab es Tukpa, Nudelsuppe mit Yakfleisch und Zwiebeln. Die Stimmung war ausgezeichnet und die Gesprächsthemen hätten für jede ARD-Samstagsabend-Show getaugt.
Am nächsten Mittag ging es los auf die Kora, die Pilgerstrecke
rund um den Mt.Kailash (bei den Tibetern Kang Rinpoche genannt. Von den Buddhisten
wird er im Uhrzeigersinn begangen, und zwar nicht nur 1 mal, sondern bis zu
107 mal, was bei der 52km-Strecke eine Lebensaufgabe ist. Man sieht auch viele
Pilger, die den Weg mit ihrer Körperlänge ausmessen. Wir starteten
ebenfalls clockwise, aber aufrecht. Ich und Roland haben Zelt, Schlafsack und
Isomatte von aussen an den kleinen Daypacks verzurrt, was sehr lustig aussieht.
Mit 3 Übernachtungen unterwegs lassen wir uns Zeit, viele Einheimische
laufen die Strecke in einem Stück. Das Highlight war unbestreitbar der
zweite Tag an dem wir einen Abstecher zu der Zunge des Nordwandgletschers machen
und dort zelten, die kälteste Übernachtung auf der ganzen Reise.Der
Zauber des Kailash liegt in seiner vollendeten Formschönheit, die Nordwand
ist eine gigantische senkrechte aalglatte Felswand in Form eines flachen Zuckerhutes.
Den ganzen Pigerweg entlang Altare mit Millionen von Steintafeln in denen kunstvoll
buddhistische Gebete eingemeisselt waren. Auf jedem bedeutenden Aussichtspunkt
und besonders auf dem 5600m hohen Lho La wehten die tibetischen Gebetsfahnen.
Die Fähnchen sind mit Gebeten bedruckt, die der Wind, so glauben die Tibeter,
zum Himmel hinaufträgt. Alle Pilger machten einen glücklichen und
zufriedenen Eindruck. Physisch gesehen war das 3-tägige Trecking für
uns eine anstrengende Sache da andere Muskeln als beim Radfahren beansprucht
wurden.
Reichlich
fertig trudelten wir wieder in Darchen ein und nach 24 Stunden Erholung gings
gleich weiter zum Lake Manasarowar. Ich und Roland erreichen den See erst in
der Abenddämmerung, da sich ein kleiner Hügel in der Nähe als
richtiger Pass entpuppte und Sand sowie heftiger Gegenwind den inneren Schweinehund
forderten. Die Szenerie war wieder einmal unschlagbar. Hoch auf einem Felsen
tronte die Chiu Monestary vor dem stahlblauen See, im Hintergrund der 7000er
Gurla Mandata. Im nahegelegenen Dorf gönnten sich einige von uns ein Bad
in der Badewanne, gespeisst von heissen Quellen.
Nachdem das gemeinsame Ziel erreicht war, spaltete sich die
Fahrgemeinschaft. Thomas verkaufte sein zusammengeflicktes FUKENA-Bicycle an
eine tibetische Familie, von der keiner Radfahren konnte. Er blieb am Lake Manasarowar
und begab sich auf die 104km-Kora um das Seeufer. Gorast fuhr gleich weiter
Richtung Lhasa. Luka, Matthei, Roland und ich beschlossen, aus verschiedenen
Gründen ein Stück mit dem Truck abzukürzen. Ich wollte am 26ten
in Kathmandu sein um noch ein wenig Erholung zu haben bevor es zu Fuss mit Renate
auf ein kleines entspannendes Trekking rund um den Dhaulagiri ging. Am Abfahrtstag
wummerte der blaue Dong-Feng-Schraubenhaufen hupend zu uns hinüber als
wir noch beim Frühstück lagen. Der Fahrer hatte uns als Abfahrtszeit
irrigerweise die Pekingzeit und nicht die lokale Zeit genannt. Wir bauten in
Windeseile das Camp ab, schmissen alles hintenrein und uns hinterher. Der Fahrer
offenbarte sofort seine schon von uns befürchtete Grausamkeit und Rücksichts-losigkeit.
Ohne sich zu vergewissern wie sich seine immerhin gut zahlende
menschliche Fracht im Laderaum arrangierte, donnerte er sofort los. Die Fahrt
war schlichtweg atemberaubend. Sie stellte sogar meine bisherige Extremerfahrung
dieser Art, eine 8-stündige Reise auf einem Toyota-Pickup über eine
ugandische Dschungelpiste, in den Schatten. Im hinteren Teil der Ladefläche
machte ein ungesicherter Reservereifen bei jeder Bodenwelle einen Halbmetersatz.
Wir kauerten uns dicht hinter der Fahrerkabine auf den Spritfässern zusammen
die wir mit den weicheren Gepäckstücken gepolstert hatten.
Wir hielten uns krampfhaft an den Gestängebögen der Abdeckplane fest. In jedem Schlagloch hüpften wir auf und ab, es schmiss uns gegeneinander oder gegen die seitliche Beplankung. Durch ein Loch im Boden verabschiedete sich mein Kochgeschirr, was die Fahrt ein Stück verteuerte. In einem genötigten Zwischenstopp konnten wir wenigstens die Bikes anständig sichern. die Landschaft sahen wir nur hinter einem Staubschleier durch die Aussparung der Plane am Heck.
Matthei kotzte ab und an zwischen Seitenwand und Plane hindurch, ich holte mir eine deftige Erkältung. Unter diesen Bedingungen beschlossen Matthei und ich, schon ab Saga wieder mit dem Rad zu fahren. Luka und Roland wollten es einen Tag länger aushalten, erst am Friendship-Highway aussteigen, und dafür noch einen Abstecher zum Everest-Basecamp machen.
Am nächsten Abend nahe Saga haben sich vor der Bhramaputra-Fähre noch mehr Pauschalistenteams aus Kathmandu versammelt, darunter eine 70 köpfige Buddhistenvereinigung aus Sonstwo. Auch wenn die Pauschaltouristen aus Kathmandu oder Lhasa in den Nissan-Jeeps weit weniger den kinetischen Gewalten ausgeliefert sind, so wissen die meisten nicht, auf was sie sich da einlassen wenn sie beim Veranstalter die "In 16 Tagen zum Mt.Kailash und zurück" - Tour buchen. Neun Tage davon sind nämlich reine Fahrtage, Stress pur. Die armen Pauschalis mussten schon vor Sonnenaufgang die allmorgendliche Stresstour über sich ergehen lassen, die Crews lassen denen nicht mal ausreichend Zeit zum Frühstück. Das Fresszelt wird quasi rundherum um sie abgebaut während alle noch bei Tisch sitzen. Ich schäle mich aus meinem Schlafsack, schnorre ein paar Pancakes und leg mich wieder ab. Der Lärm lässt mich aber nicht schlafen, so beobachte ich das Treiben. Die Hunde und Raben sind auch schon herbeigeeilt, um sich die Reste zu sichern. Mengen an übriggebliebenem Porridge werden ins Gras gekippt. Ein richtiger Wettlauf ist zu beobachten, da alle Autos als erste bei der Fähre sein wollen. Als der letzte Truck von dannen zieht, bleibt ein Trümmerhaufen aus Müll, Plastik und Glasflaschen zurück, in dem tibetische Frauen aus dem nahegelegenen Saga nach Verwertbarem wühlen. Wir machen uns nach einem ausgiebigen Frühstück auch bald auf den Weg, über den Bhramaputra und weiter Richtung nepalesische Grenze.
Für die nächsten 170 km brauchen wir vier volle Tage, in äusserstmöglich grandioser Landschaft, eigentlich eine Schande, die Strecke mit dem Truck zu fahren. Es geht quasi 270 Grad um den Xixapagma herum, azurblaue Seen vor bizarrer Alpinwüstenlandschaft, zahlreiche Pässe am Anfang, Geröllpisten in der Mitte und tiefer Sand am Schluss. Die ockerfarbenen kargen Berglandschaften wurden nur unterbrochen durch Grünstreifen an den Rändern der Flüsse, auf denen Hirten in safrangelben Pelzmänteln mit baumelnden Ohrringen ihre Yaks hüten.
Mitten in der Einöde waren ab und an wilde Gesellen zu beobachten, die mit der Machete die knorpeligen Büsche abschlugen, um dann die Wurzel auszugraben. Die Wurzeln dienten neben dem getrockneten Yakdung als wertvoller Brennstoff.
Eine brenzlige Situation ergab sich, als 2 von Ihnen meine Wasserflasche forderten. Ich schlug die Bitte ab da die Gegend trocken war und weit und breit kein Wasser in Sicht war. Ich wusste jedoch dass 5km zurück sich ein Bachlauf befand und die beiden Tibeter wussten das sicher auch. In aggressiver Manier forderte der eine erneut meinen Wasservorrat. Ich schlug seine Hand weg und gab zu verstehen das sie sich verpissen sollen.
Die kurzfristige Planlosigkeit, die daraufhin in ihren Gesichtern zu lesen war nutzte ich dazu, um kräftig in die Pedale zu treten, was wohl eine weise Entscheidung war.
Es
ist defintiv eine abgelegene Gegend da oben und das Gesetz steht in einem Buch
das ist tausend Kilometer weit weg. Wenn hier einer partout Deine Schuhe will,
dann bekommt er sie wohl auch. Trotzdem ist Tibet nicht Kolumbien und die Kriminalität
gegen Ausländer ist im allgemeinen vernachlässigbar.
20 Kilometer vor dem Lalung La, dem 5100m hohen nepalesisch-chinesischen
Grenzpass erreichen wir den Friendship-Highway. Die Bezeichnung Highway ist
wohl etwas übertrieben,
immerhin ist die Strasse mit gemahlenem Schotter gewalzt. Ich und Matthei zelten
neben einer tibetischen Siedlung in einem Flusstal. Es ist wohl der lokale Yak-und
Schafmarkt, und die ganze Nacht blökt und grunzt es um das Zelt herum.
Bei meinem Kocher ist eine spezielle Dichtung zerissen, natürlich
die Einzigste die ich nicht als Ersatz dabei habe. So sind wir auf die verfluchten
Instant-Noodles in den kleinen Shops angewiesen. So wie wir dort angestarrt
werden glaub ich nicht, das die vielen Touristenjeeps jemals hier anhalten.
Vom real Tibetian Way of Life bekommen die nichts mit. Das Fahrad ist eine wahre
Waschmaschine für Körper und Geist. Im Schleudergang aber mit starker
Erkältung kämpfe ich mich hoch zum 5050m hohen Lalung La, im Angesicht
des mächtigen Xixapagma, dem einzigen 8000er der vollständig auf chinesischem
Gebiet liegt. Die Aussicht ist majestätisch, der Adrenalinspiegel gesättigt
und tief unter uns liegt Nepal und noch tiefer Indien und vor uns eine 4000
Höhenmeter Passabfahrt, yeah !!!. Die ersten 1000 waren relativ plötzlich
und steil, dann kamen ich und Matthei zunächst in ein flaches Hochtal mit
vielen überraschend reich wirkenden tibetischen Siedlungen und Yakherden.
Der thermische Wind frischte auf und erreichte Orkanstärke das Tal hinauf.
Nach 30 Kilometer im dritten Gang völlig am Ende schauten wir in der Dämmerung
blöd aus der Wäsche, als Nyalam noch immer nicht in Sicht war. Das
hatten wir uns wegen nötiger Nahrungsaufnahme bei defektem Kocher als Etappenziel
ausgesucht, Die Nachfragen nach der Entfernung bei Truckfahrern und der Bevölkerung
variierten jedoch um mehrere hundert Prozent, so dass von dem Kaff nix in Sicht
war. Das Schicksal wollte es jedoch, das wir ausgerechnet neben dem Kloster
anhielten, in dem in einer Höhle der Yogi-Heilige Milarepa gewohnt hat
Vom gesamten tibetischen Volk wird er als der erste gewöhnliche Tibeter
betrachtet, der zu einem vollkommenen
Buddha geworden ist und die Lehren des Buddhismus nach Tibet gebracht hat. Wir
werden von ein paar jungen Mönchen ins Kloster eingeladen und bekommen
Buttertee, eine kostenlose Indoor-Übernachtung sowie ein netten Abend zusammen
mit dem Oberlama. Am nächsten Morgen durften wir sogar mit dem Oberlama
die heiligen Raüme besichtigen und eine Fotosession machen. Während-desssen
passten die Jungmönche auf die Räder auf. Matthei fuhr dann schon
mal los und ich suchte meine Radhandschuhe. Während wir mit dem Lama in
der Gompa waren, haben die verfluchten Kids die Handschuhe abgesteckt, aus der
verschlossenen Tasche, so blöd wie sie mich jetzt anstarren als ich sie
zur Rede stelle, kann ich es Ihnen an der Nasenspitze ansehen. Mögen sie
die Krätze davon bekommen, ich lasse diesmal umfangreiche Nachforschungen
bleiben und fahre los. Plötzlich stehen Dana und Andrea mit ihren Rädern
in der Kurve. Die beiden habe ich zuletzt in Kashi gesehen. sie sind den KKH
nach Islamabad geradelt, dann über Nepal nach Lhasa geflogen und wollen
jetzt mit dem Rad zurück nach Kathmandu. Wiedersehensfreude, die Welt ist
so klein! Wir holen Matthei ein, der schon vor dem chinesischen Restaurant in
Nyalam auf mich wartet.
Jetzt verlassen wir entgültig die kalte Reinheit des tibetischen Hochplateaus und es geht richtig das Loch runter und zwar endlos, 60km ohne Gegensteigung, voll Erdrutsche und steil. Die Vegetation wird immer dichter, grüner, duftender, Seh- und Geruchssinn sind völlig überlastet. überall tosende Wasserfälle, Bäche über die Strasse, Blumen, Schmetterlinge, Vogelgezwitscher, das Paradies...Let it rumble in the jungle... Adrenalin aus dem Vollen. Irgendwann taucht unter uns Zhangmu auf, das chinesische Grenzkaff und eine stinkende Kloake ohne Kanalisation
Kapitel 11
Nepal – die Treppe zum Himmel
Kathmandu - Dhaulagiri - Mugling - Sonauli
Nach weiteren 40km bergab bis auf 800 m Meereshöhe ging es dann nach Kathmandu
noch mal 700 Höhenmeter hinauf auf einen kleinen Pass. Den sind wir nach
6 Wochen Höhentrainingslager mit einem Überschuss an roten Blutkörperchen
hochgefegt als ob es etwas zu gewinnen gäbe. Die Luft war so dick, man
hatte den Eindruck, sie essen zu können. Zahlreiche Busse
donnern schwerbeladen über die kurvige Strassen, 50 Schulkinder auf dem
Dach sind keine Seltenheit. Gebremst wird nur für die heiligen Kühe,
auf Menschen wird keine Rücksicht genommen. Am Straßenrand hocken
alle paar Kilometer Arbeiterkolonnen, um Feldsteine aus dem Flussbett mit dem
Hammer zu Straßenschotter zu zertrümmern. Überall lachende,
fröhliche und winkende Menschen, eingebettet in sattes Grün. Die Vegetation
protzte mit verschwenderischem Luxus und wir waren mittendrin..
Der glitzernde Reichtum des auf dem geologischen Breitengrad von Kairo gelegenen
Nepals
ist seine geologische und botanische Vielfalt. Zehn der vierzehn 8000er liegen
in dem Staats-gebiet, das im Süden bis auf 150m Seehöhe abfällt.
Die indische Platte schiebt sich immer noch beständig unter die eurasische
Platte, so dass aus dem Mt. Everest bald ein 9000er wird. Bis dahin werden die
Nepalis aber noch viel Kinder machen, das ist nämlich ihre Hauptbeschäftigung
neben Gärtnern im Paradis.
Das Land des Lächelns beheimatet eine erstaunliche Vielfalt recht unterschiedlicher Völker die sich durch die vielen geographischen Barrieren über viele Jahrhunderte hinweg ungestört entwickeln konnten. Die Bewohner des Landes zählen zu den unvoreingenommensten und liebenswürdigsten Menschen auf dem Planeten. Zudem darf sich das Land ohne Übertreibung zu den schönsten Bergwandergebieten der Welt zählen und hat aus dieser Tatsache kräftig Kapital geschlagen. Die reichhaltige Kultur hat Ihren Zauber bis in unsere heutige Gegenwart bewahrt - überall begegnen uns die Zeugnisse der hinduistischen und buddhistischen Tradition.
Mit einer der höchsten Geburtenraten der Welt schafft sich das Land jedoch gewaltige Probleme. Abholzung und der Monsun sorgen dafür, das der Mutterboden das grösste Exportgut des Landes darstellt, auf Nimmerwiderkehr nach Indien. Die Umweltverschmutzung im rasant wachsenden Kathmandu ist kaum noch tolerierbar. Als einen ersten hoffnungsvollen Schritt hat die Regierung angefangen, die uralten 3-Rad-Taxis auszudünnen, welche mit den ausgelutschten 2-Takt und 3-Takt-Maschinen die Hauptverursacher für den blaugrauen Dunstnebel in Kathmandu sind.
Der Aura die über der Stadt liegt, kann man sich nicht entziehen. Die Gläubigen bei ihren täglichen Ritualen, die Räucherstäbchen, die Tauben, das leise Gebimbel der Glöckchen, die an den Tempeldächern im Wind hängen. Alle paar Meter wir einem von den fliegenden Händlern ein Holzschach, ein Messer, eine Buddhafigur, eine Bambusflöte oder eine nepalesische Geige zum Kauf angeboten.
Nach 1900 km auf dem Sattel sind wir dann zielsicher in lovely Kathmandu eingepfeilt, der mittelalterlichen Königsstadt mit ihren uralten Tempelanlagen. Kathmandu hat schon seit den 50ern eine magische Anziehungskraft für Freaks und Bergsteiger. Sämtliche Küchen der Erde sind hier durch Restaurants von heterogener Qualität repräsentiert, und die handwerkliche Geschicklichkeit der Einwohner des Tales ist legendär. Der Hunger internationaler Fernradler auch, und so begeben wir uns sofort auf eine mehrtägige Fresstour durch Berge von indischer Feinkost und Chocolate-Banana-Pancakes. Das Hotel kostet 4 Mark die Nacht, ist ruhig, sauber, mit Dachterasse und Garten, ein super Platz zum Ausspannen. Das Preisniveau zieht eine Menge junger dynamischer Backpacker an, die Athmosphäre ist bezaubernd.
Von den Fresstempeln im Konsummekka Kathmandu loseisen konnte ich mich erst
am 7. Oktober, als es zur Abwechslung mal zu Fuss in die Berge ging. Mit von
der Partie war Renate, die vielleicht einzige Frau, die diese Saison ohne einheimische
Begleitmannschaft die Dhaulagiri-Umrundung geschafft hat :-). Nachdem ich sie
auf dem Airport erstmal auf dem Summit-Club-Massentransport herausgelöst
hatte, ging es also ohne Umschweife über Lovely Phokara zum
Ausgangspunkt Beni. Zeitgleich pilgerten Roland und Thomas in die Langang-Helambu-Region,
eine Art Geheimtip da die meisten Touris ins Annapurnagebiet reisen.
Auf unserem Trek führte das letzte Stück der Strasse über eine
in den Hang gesprengte Geröllpiste abenteuerlich das Kali Gandaki Tal hinauf.
Ausser uns waren nur noch ein paar Ziegen, ein paar Alte und Mütter mit
Babys im Bus. Eines flog einmal bei einer Bodenwelle geradewegs an die Decke
worauf ein heftiger Disput mit dem Fahrer folgte. Aber was ein echter nepalesischer
Busfahrer ist, den interessieren die Belange seiner Passagiere wenig. Am
nächsten Morgen ging es dann spannungsgeladen los Richtung Dhaulagiri-Basecamp.
Die Umrundung des Dhaulagiri ist eine der interessantesten Trekkingtouren Nepals.
Dem Lauf des Myagdi Khola folgend, sind vom Ausgangspunkt bis zum höchsten
Pass insgesamt 4500 Hoehenmeter netto zu meistern. Dieser Höhenunterschied
und die Tatsache, das dabei die Wetterscheide des Himalaya überquert wird,
garantiert Einblicke in die verschiedensten Vegetationszonen der Erde. Angefangen
von den Bananenplantagen und den Reisfeldern unterhalb 1200 m zu den Bergregenwäldern
und den Eisfeldern und Alpinwüsten oberhalb 5000m. Und hinab durch die
Hochalmen durch dichte Kiefernwälder zu den Apfelplantagen des Kali Gandaki
Valley. Diese stete Abwechslung für die Sinne lässt zu keinem Zeitpunkt
Langeweile aufkommen. Aber vielleicht langweilen sich ja die Touris von Hauser-Excursionen
die wir auf dem Weg 2mal überholt haben :-) Die organisierten Touren, vornehmlich
von Hauser und dem Summitclub durchgeführt, schleppen neben Essen und Brennstoff
einen Haufen überflüssiges Zeugs durch die Gebirgslandschaft, vom
Klodeckel bis zur persönlichen Waschschüssel für jeden Gast.
Diese, durch den Luxus ziemlich verwöhnt lassen sich treiben
und wissen oft nicht einmal, was eigentlich Dhal Bhat ist oder wo am nächsten
Tag die Etappe verlaüft. Mit den komfortablen Vorteilen einer organisierten
Tour (rund 6000 Mark incl. Flug in diesem Fall) erkauft man sich offensichtlich
auch eine Menge Nachteile. Selber kochen, navigieren und Lager errichten ist
nämlich die Hälfte des Abenteuers, ausserdem hat man im Massentreck
so gut wie keinen Kontakt zu den Einheimischen. Diesen hatten wir jedoch zuhauf
und das gerade macht den Reiz Nepals aus. Die Landbevölkerung ist überaus
freundlich und hilfsbereit, die Dörfer malerisch gelegen und die lokale
Kost deliziös. Die Augen strahlen vor Offenheit und Entgegenkommen
Eimal kräftig schlucken war jedoch angesagt als wir gleich am dritten Tag morgens feststellten, das Renates Bergschuhe verschwunden waren. In dem Fall zelteten wir im Innenhof eines Bauernhauses und verursachten sofort einen grossen Aufruhr im Dorf. Der Druck war gross, immerhin wäre nicht nur unsere ganze Tour futsch gewesen, sondern der Rückzug über die steinigen Steilpfade wäre barfuss zur Farce geworden. Ich setzte sogleich eine ansehnliche Belohnung für die Wiederbeschaffung aus und verdeckte Ermittlungen kamen in Gang.
Ähnlich wie bei unserem letzten Schuhdiebstahl im Iran ist so eine Dorfgemeinschaft noch völlig intakt und nach einer Stunde tauchten die Schuhe in den Händen 2 kleiner Jungen wieder auf.
Durch die vielen Monsunschäden hatte der Weg technisch einiges zu bieten,
oft war die Passage
durch Murenabgänge zerstört und die Umleitung führte dann abenteuerlich
über ausgesetzte Kletterpassagen. Weggespülte Brücken verlangten
solides Balancieren über nasse Baumstämme und die fehlerhafte Karte
führte oft in die Irre. Aber meistens fand sich früher oder später
ein Einheimischer der einem bereitwillig den richtigen Weg zeigte. Nach einer
ermüdenden Etappe längs auf dem Gletscher erreichten wir am 8ten Tag
das Basecamp, wo gerade eine spanische, eine italienische und eine japanische
Expedition am Abbauen waren. Acht erreichten den Gipfel, von den Spaniern hatte
einer oberhalb Camp 3 sein Leben gelassen. Für einen 8000er eine recht
gute Erfolgsquote, am Everest gibt es auf jeden Fall mehr proportionale Opfer.
In der Umweltproblematik muss den Expeditionen eindeutig der schwarze Peter
zugeschoben werden. In einer "Nach mir die Sintflut" – Mentalität
ist die leere Thunfischdose offensichtlich schwerer als die volle, und keiner
mag sie mehr hinuntertragen. Das gilt auch für Sauerstofflaschen, Plastikverpackungen,
unverbrauchte Lebensmittelvorräte und alte Zelte. Haben wir selbst gesehen.
Die Herren Oberbergsteiger sind feierlich abgerückt und die Mannschaft
hat den ganzen Kruscht einfach in die nächste Gletscherspalte geschmissen.
Manche machen sich nicht mal die Mühe.
Auf knapp 5000 machten sich bei Renate nun die ersten Warnzeichen der Höhenkrankheit
bemerkbar, und wir entschieden uns für einen Ruhetag. Man darf das nicht
unterschätzen. Auf dieser Höhe betraegt der Luftdruck nur noch 0.5
bar. Der Körper reagiert kurzfristig mit einer Erhöhung der Atemfrequenz
und langfristig mit einer Mehrproduktion sauerstofftransportierender roter Blutkörperchen
um die Versorgung des Gehirns aufrechtzuerhalten. Man muss ihm nur die nötige
Zeit lassen. 3 Tage frieren war nun programmiert, ein Ruhetag im BC, eine Übernachtung
im Hidden Valley, und dann der grandiose Downhill nach Marpha auf 2600m. Die
Wegfindung nach dem Dhamphus-Pass war gar nicht so einfach, jedenfalls als wir
nur noch auf den Yaktrails liefen. Letztendlich folgten wir irgendeinem attraktiven
Bergrücken, der sich ins Tal hinunterzog. So fanden wir denn auch eine
paradisisch gelegene Apfelplantage weitab vom Normalweg mit den
knackigsten Äpfeln Nepals.
Unten im Valley stiessen wir im 90 Grad Winkel in eine andere Welt. Der Annapurna-Circuit ist das Schloss Neuschwanstein Bayerns. In jedem Dorf ein paar Lodges und Restaurants, auf diesem Trek braucht man kein Zelt oder Kocher. Trotzdem ist die Annapurnarunde sehr empfehlenswert, gerade ausserhalb der Saison ab Anfang Dezember. Nach einem Wartetag flogen wir dann von Jomsom aus mit Nepal Airways geradewegs ins Fressparadies Pokhara und 2 Tage später mit dem Bus zurück ins Kathmandutal.
Nachdem sich die Slowenisch-Schweizerisch-Deutsche Tibet-Crew in alle Himmelsrichtungen zerstreut hatte, waren Ende Oktober nur noch ich und Thomas am Start zur nächsten Etappe. Mit von der Partie war bis Lumbini Thomas, der Mattheis Bike gekauft hatte und damit nach Calcutta wollte, ein paar Monate Sozialarbeit in einem Armenhaus leisten, eine Herausforderung der besonderen Art. Die Route nach Varanasi führte über das Tal des Trisuli in das Tal des Kali Gandaki und dann direkt nach Südwesten in die grosse Ebene des Ganges und des Gangara. Vom Rand des Kathmandutales ein letzter Blick zurück, danach erstmal 150 Kilometer bergab.
Mir fiel auf, das Fahradfahren doch so viel geiler als Busfahren ist, ich nahm die Topografie und vor allem die Menschen neben der Strasse viel intensiver wahr als eine Woche zuvor im Bus. Die Leute im nepalesischen Tiefland wohnen in einstöckigen Lehmhäuser mit Strohdächern. Im meist sauber geputzten Hof laufen Hühner, Ziegen und Schweine frei umher, die Wasserbüffel sind an einen Pflock gebunden. Die Ernte war gut dieses Jahr und allerorten wird Reis und Getreide gedroschen und durch handbetriebene Windmühlen die Hülsen vom Korn getrennt. Die für diese Saison gesicherte Existenz sorgt für so eine fröhliche entspannte Stimmung auf den Gesichtern, so einen Ausdruck von Zufriedenheit kenne ich nicht aus Deutschland. Entlang der Strasse durch die Wälder tritt eine gelbschwarze Spinnenart auf, deren groesste Exemplare die Dimension einer Hand mit ausgespreizten Fingern haben. Nix für arachnophopiegeplagte wie mich, aber die Netze sind atemberaubend bewundernswerte Konstruktionen mit bis zu 2 Meter Radius.
Nach 300 Km war die nepalesisch-indische Grenze erreicht, das Chaos auf der Strasse nahm deutlich zu.
Sonauli - Gorakhpur - Varanasi - Bombay - Goa - Kerala
Willkommen im Land der Paläste, Tempel, Ashrams und Bazaare, im Land der heiligen Männer, der Gurus, der Transvestiten und Eunuchen, im Land der eine Milliarde Inder von denen 500 Millionen Bauern sind.
Von dem Grenzort Sonauli aus fuhr ich solo weiter durch den Distrikt Uttar Pradesh Richtung Süden, über Gorakhpur und Azzamgarh weitere 300 Km. Da vier von fünf Kreuzungen ohne Beschilderung sind, musste ich andauernd nach dem richtigen Weg nach Varanasi fragen. Dabei bildete sich immer gleich eine Menschentraube um mich. Oft zeigten alle in verschiedene Richtungen, einmal deutete ein bärtiger Naga Baba recht überzeugend in einer beschleunigten Kreisbewegung in Richtung Himmel. Wahrscheinlich hatte er recht, ich wählte jedoch lieber eine horizontale Variante.
Die indischen Truck-, Bus-, Rikscha- und Autofahrer möchte ich allesamt
als Irre bezeichnen, die vielleicht schlechtesten Fahrzeuglenker auf diesem
Planeten. Zumindest was die Rücksichtname auf andere Verkehrsteilnehmer
betrifft. Durch die Dörfer wird immer mit Vollgas gefahren, die extrem
lauten Sirenen auf Dauerfeuer. Überholt wird überall, vor Kuppen,
Kurven und auch bei sichtbarem Gegenverkehr. In dem Fall gewinnt der mit den
stärkeren Nerven und dem grösseren Vehikel, mehr als einmal half mir
nur ein Ausweichen in den Strassengraben.
Später, nach 6 Wochen Verkehrserfahrung, dämmerte mir warum auf den Strassen nicht mehr Unfälle zu beobachten waren. Die Inder scheinen ihr hierarchisches Kastensystem einfach auf den Verkehr übertragen zu haben. Bei der ersten Übernachtung in Indien habe ich unter brennendem Neonlicht geschlafen, da dies die esslöffelgrossen indischen Mutantenkakerlaken davon abhielt, mich bei lebendigem Leibe aufzufressen. Als ich abends vom Essen kam und das Licht anschaltete, waren im Bett nämlich gut 2 Dutzend davon, wie in einem Alptraum. Die Verdopplung des Übernachtungs-Budgets auf 3$ half jedoch fortan.
Sobald ich die Indian Lowlands erreichtte, machte ich auch Bekanntschaft mit der indischen Kampfschnake. Mit beeindruckenden Flugkünsten ausgestattet, liess sie sich nicht durch die Turbulenzen beeindrucken, die der auf höchster Stufe laufende Deckenventilator verursachte. Noch bei den iranischen Rüsslerhorden war dieser eine probate Verteidigungsstrategie. Zielsicher manövrierte sich eine Angriffswelle nach der nächsten in Richtung Fleisch, ähnlich wie Nepal Airways in der Nachmittagsthermik des Kali Gandaki Valley. Demnächst wird wohl ein Mosquitonetz fällig sein.
Indien ist leider der Vorreiter in Sachen Umweltzerstörung, Luftverschmutzung und menschengemachtes Artensterben. Da gibt es nichts zu beschönigen, im Grossen wie im Kleinen. Das Bewusstsein für die Problematik ist erstaunlich gering. So sind die Autowerkstätten einzige Ölseen, einmal sah ich einen Meterberg verrotteter Autobatterien direkt neben einem Gemüsebeet. Während in vielen Ländern wie z.B. auch Griechenland der letzte Kontakt der Einheimischen mit den Abfallprodukten der Konsumgesellschaft der Wurf vor die Haustüre war, verbrennen die Inder mit Vorliebe ihren Müll dezentral, d.h. ebenfalls vor der Haustüre. Der bestialische Geruch scheint den Leuten aber nichts auszumachen.
Ein Teil des Abfallproblems wird jedoch durch die vielen Kühe und Schweine geloest, neben dem hygienischen Zustand der Metzgereien einer meiner Hauptgründe, seit 3 Monaten quasi als Vegetarier zu leben. Die Kühe fressen mit Vorliebe Tetrapaks und schwarze Plastiktüten, sowie natürlich den organischen Abfall. Ich frage mich, warum in Europa mit so viel Aufwand versucht wird, Tetrapaks zu recyceln, es wäre billiger, indische Kühe zu importieren.
Ich erstand in einem Bookshop eine genaue Karte der Gegend und war somit in
der Lage, den Weg abseits der Hauptstrassen zu wählen und trotzdem recht
direkt Richtung Ziel zu fahren. Trotzdem erinnerte die Fahrt stark an das kaspische
Meer. Auf keinem Kilometer der Strecke waren weniger als 10 Menschen in Sichtweite
(und ein Dutzend Wasserbüffel), bei jedem Halt bildete sich gleich eine
Ansammlung. Nach 110km pro Tag war ich abends immer recht geschafft, nicht
physisch sondern psychisch von den immer gleichen Small talks und den verrückten
Busfahrern mit ihren trommelfellzerreissenden Sirenen. Aber die Freundlichkeit
und kindliche Neugier der Landbevoelkerung bildete mehr als einen Ausgleich
für die Leiden. Der Ackerbau wird überwiegend von Hand betrieben,
überall sieht man die Bauern mit Holzpflügen die von Wasserbüffeln
gezogen werden.
Nach genau 600 Kilometern in fünfeinhalb Tagen traf ich in der heiligsten aller heiligen Städte ein. Das Gesamtkunstwerk Varanasi moegen viele als Chaos im Kuhstall bezeichnen, die Stadt offenbart jedoch einen wundervollen Charakter. Eine 100prozentige Integration der Religion in den Alltag, Himmel und Hölle liegen hier eng beieinander. Elegant gekleidete Fraün in der Sari- Nobelboutique, neben einem Schuppen in dem 8-jährige Knirpse 16 Stunden am Tag Kugelschreiberkopefe in ein Chrombad tauchen und sich durch die Dämpfe langsam vergiften. Businessmen auf der Strasse mit Anzug und Köfferchen, dazwischen verstümmelte Lepraopfer, die sich auf Holzbrettern mit Rollen vorwärtsschieben. Überall trifft man auf mit Asche und Öl beschmierte heilige Männer, deren Hauptbeschäftigung in süssem Nichtstun und in der philosophischen Betrachtung der Welt besteht, nur zeitweilig wird dies durch äusserliche Religionsübungen unterbrochen, unter denen wiederholte Waschungen im Ganges noch die zweckmässigsten sind.
Ein
steter Mahlstrom aus Schweinen, Kühen, Hunden, Ochsenkarren, Trucks, Bussen,
Mopeds, Fahrradrikschas, Motorrikschas, Bussen, Fussgängern und Eselkarren
schiebt sich lärmend durch die engen Strassen. Varanasi ist Leben, Varanasi
ist Sterben, Varanasi ist zeitloser Zauber.
Die Altstadt mit den Arkaden am Gangesufer ist einer der "Magic Places" Asiens und ein Muss für jeden Indienreisenden. Millionen Pilger, Asketen, Touristen, Neo-Hippies und New-Age-Sinnsucher besuchen jedes Jahr die Stadt. Die Wichtigste der sieben heiligen Städte der Hindus ist über 3000 Jahre alt und in ihrer Wichtigkeit nur vergleichbar mit dem Mekka der Muslime oder dem Jerusalem der Juden und Christen. Der ganze Stadtkern ist eine einzige Zurschaustellung der hinduistischen Religion, unzählige Tempel und Schreine prägen das Bild. Regelmässig führen von der Altstadt Treppen hinunter zum Ganges, an denen sich während des Sonnenaufgangs die heiligen Waschungen der Glaübigen abspielen. Das Bad im Ganges reinigt von den begangenen Sünden und verspricht Absolution. Nach Varanasi kommen und sterben, das ist der Traum jedes Hindus. Wer hier verbrannt und wessen Asche in den Ganges gestreut wird, der entgeht nach dem Glauben der Hindus dem Kreislauf der Geburten und ist erlöst.
Nun denn, den Sünden haben wir uns ja schon bei der Kailash-Umrundung
entledigt, ausserdem kann man sich bei einem Gangesbad
ausser Absolution alles denkbar Widerliche einfangen. Heilige Männer und
kleine Kinder werden nämlich unverbrannt dem Fluss übergeben, und
können einem dann schon mal bei einer Bootsfahrt begegnen. Nach dem Einchecken
in einer kultigen Pension am Gangesufer teste ich erstmal die lokalen Lassi-Spezialitäten.
Dann eine einstündige FullBodyMassage, danach 3 Hauptgerichte zum Dinner
und unzählige Desserts. Es folgte eine Bootsfahrt auf dem Ganges. Jetzt
in der Trockenzeit hat der Fluss nämlich am gegenüberliegenden Ufer
eine riesige Sandbank freigegeben, von der sich ein herrlicher Blick auf die
Uferpromenade offenbart. Varanasi pulsiert vor Leben, ein stetiger Strom Menschenleiber
schlendert durch die Gassen und Tempelanlagen, dazwischen unzählige Kühe,
Schweine, Ratten und Affen. Das Nebeneinander von Mensch und Tier ist bei den
Hindus wirklich recht unkompliziert. Alle dealen und feilschen was das Zeug
hält, die Luft ist voller verschiedenster Gerüche und die kulinarischen
Herausforderungen grenzenlos. Ein paar müde Traveller bei Tisch in der
Thalibude staunen, als ich mir zum Nachtisch gerade noch mal eine Full Portion
einbaue. Aber wenn man den ganzen Tag stoned am Gangesufer abhängt, darf
man natürlich nur die Hälfte essen J
.
Die Low-Paid Jobs auf der Strasse wie Rikscha- und Bootsfahrer oder Souvenierverkäufer sind alle sehr konkurrenz-intensiv und an den entsprechenden Plätzen stürmen mit verzweifelter Penetranz oft ein Dutzend gleichzeitig auf einen ein. Momentan leiden offenbar auch alle unter dem Ausbleiben der Touristen dieses Jahr. Gerade die kaufkräftigen Älteren liessen sich durch den Dunst des Terrors in der Region abschrecken.
Ich wollte nun mit dem Zug nach Mumbai fahren und per Rad Richtung Süden vorstossen und habe in einer 6-stündigen chaotischen Prozedur ein Zugticket erstanden. Die 28 Stunden im Liegewagen nach Bombay waren äusserst entspannt. Beim Zugfahren in Indien ist auch wirklich was geboten. An den zahlreichen Zwischenstops stürmen allerlei Händler in die Waggons und bieten ihre Waren feil, Blinde verkaufen Erdnüsse, Floetenspieler geben Liedchen zum Besten, kleine Kinder wollen Schuhe putzen. Die Etikette sind auch nicht so streng wie im ICE. Da kann man schon mal in der offenen Türe sitzen und die Beine baumeln lassen. Bombay erinnert stark an London, die Westminster Church ist auch da, sowie die roten Doppeldeckerbusse und die antiken Taxis. Es finden sich zahlreiche stattliche Prachtbauten im gothischen Stil, ähnlich den Palästen Venedigs. Natürlich war es wieder echt ätzend, ein Hotel zu finden. Nachdem mir schon 4 Hotelguides vor der Nase rumgelaufen sind und der 20te Drogendealer mit seinem "You want hash ?" - Genuschel ankam, nun da kam doch echt einer an und wollte mir mit aller Penetranz einen metergrossen bunten Luftballon verkaufen. Da hab ich mir dann ein Herz genommen und ihm haarfein erklärt, warum Leute die so ausehen wie ich im allgemeinen keine metergrossen Luftballons brauchen, und schon gar nicht wenn sie schwitzend in Bombays Feierabendverkehr auf Hotelsuche sind.
Den
bleichgesichtigen Indienfrischlingen in der Absteige hab ich erzählt wo
ich mit dem Rad hin will, sie haben mich für völlig bescheuert erklärt.
Das machte mir Mut. In Bombay bin ich quasi durchgestartet und habe mich nach
nur 20 Stunden in der Stadt gleich auf den 600km-Trip nach Goa begeben. Abgesehen
von dem Highway No 17 entpuppte sich die Westküste Südindiens als
Radfahrparadies. Die Western Ghats, der dominierende Hoehenzug der sich von
Bombay hinunter bis zur Südspitze zieht (Höchster Punkt immerhin 2700m)
entwässert in zahlreichen Flüssen direkt in den indischen Ozean. Die
Strasse nach Süden schneidet die Täler also andauernd im rechten Winkel,
ein andauerndes Auf und Ab, mit grandiosen Ausichtspunkten. Bin die ersten 400km
haarscharf an der Küste entlang. Die Strasse war höchstens 2m breit,
oft unasphaltiert und durch Fjorde unterbrochen, dafür gab es keinen Durchgangsverkehr.
Ich bin insgesammt 12 mal mit der Fähre übergesetzt, meistens winzige
Nussschalen, Typ Einbaum mit Ausleger. Total abgefahren kultige Fischerdörfer
hab ich gesehen, mit Palmen umsäumt wie auf der Postkarte. Und eine Delphinshow
gratis dazu.
Weiter gings durch Palmenplantagen. Mit affenartiger Behendigkeit klettern junge Burschen an den mächtigen Stämmen empor, um den Palmenwein, der Nachts in die oben aufgehängten Gefässe getröpfelt war, einzusammeln. Ab Ratnagiri bog ich auf den Highway No 17 ein, ein stetes Auf und Ab und Auf und Ab, leider nimmt der Verkehr Richtung Goa immer mehr zu. Am 14ten November war hier Happy New Year, überall haben sie Kracher verkauft die in Europa unters Waffengesetz fallen würden. Bei der letzten Hotelübernachtung vor Goa frassen mich dann fast die Rüssler auf. Der Händler der mir das Moskitonetz verkauft hatte, meinte nur <They don't get through> als ich ihn im Zweifel auf die grobe Netzstruktur hingewiesen habe. Jetzt weiss ich was er gemeint hat. Rein können die Rüssler durchaus, nur im vollgefressenen Zustand können sie nicht mehr raus.
Ein Tag vor der Ankunft in Goa hab ich dann die coolste Beach auf der Reise gesehen. Wie gemalt, absoluter Geheimtip und keine einzige weisse Langnase weit und breit. Dieser Tag war auch der schönste auf der Strecke Mumbai-Goa. Nachdem sie mich morgens erstmal 10km in die falsche Richtung geschickt haben, bin ich irgendwann ratlos an einer Kreuzung gestanden und habe an der Flasche genuckelt. Da kam eine Gruppe Halbnackte aus dem Busch gesprungen wie in einem Tarzanfilm. Auf meine Frage nach dem Weg deuteten alle wie so oft in verschiedene Richtungen, dem Gesetz der Gausschen Normalverteilung folgend. Ich folgte dem Tip der grössten Häufigkeit und lande auf einer kleinen Holperstrasse, wenigstens in die richtige Himmelsrichtung.
Von einer lauen Luftbrise umhüllt, rumpelte ich genüsslich die malerische Küste entlang von einem Dorf zum nächsten, Flüsse wurden auf kleinen Fähren überquert. Die Leute neben der Strasse lachten und grinsten einen an, manche standen nur mit offenem Mund da, denen hatte es die Sprache verschlagen. Die Landschaft ist traumhaft, im Europavergleich eine Mischung aus Griechenland und Südfrankreich, incl. Kokospalmen. Abends gabs dann ein Private Boat von der Traumbeach über die Bucht nach Jaigarh, und eine Freiluft-Übernachtung in einem alten portugisischen Fort hoch über dem Dorf.
Nach 6 Tagen rückte ich dann feierlich im Staate Goa ein. Goa hat in der Tat was paradisisches an sich, ein Land durchzogen von in der Sonne schimmernden Flüssen, sanfte Hügel, alte Villen, weiss getünchte Kirchen und bunte Tempel, gastfreundliche und unbekümmerte Menschen mit einem Hang zu ausgedehnten Siestas, eine Mischkultur aus einer hinduistischen Mehrheit, muslimischen und christlichen Minderheiten sowie einem Hauch des kolonialen Portugal. Vom einstigen Glanz des Kolonialstaates zeugen allerorten Ruinen und Relikte, prunkvolle Kirchen und stattliche Herrensitze, erbaut im europäischen Kolonialbarock.
Die Europäer hatten schon Ende des 14ten Jahrhunderts ein Auge auf das
Land geworfen. Die erste Langnase war Vasco da Gamma, der konnte jedoch mit
seinen Glasperlen gleich wieder abrücken, der lokale Herrscher wollte ihn
gar nicht erst empfangen. Das nächste Mal hat er natürlich die Glasperlen
daheimgelssen und stattdessen eine Armee mitgebracht. Die Portugiesen blieben
bis 1961. Gleich als nächste wirtschaftliche Macht rückten dann die
Hippies an, gefolgt von dem Pauschaltourismus.
Das bekannte Klischee vom Technoparadies Goa ist Realität. Solange Rupees
in der Tasche sind, kann man es sich an den Postkartenstränden fürstlich
gehen lassen. Technotempel unter Palmen mit erstklassiken Musikanlagen, magische
Sonnenuntergänge, Fressbuden mit Kingfish, Queenfish und Chocolate Banana
Pancake. Ein viele hunderttausend Quadratkilometer grosses wohltemperiertes
Schwimmbad vor der Hütte. Gut zwei Duzend Beaches gibts in Goa, vom Package-Tourist-Ghetto
bis zur einsamen Bucht mit nur Sand und Kokospalmen. Ich bin in Chapora/Vagator
gelandet, ziemlich im Norden des Staates, angeblich eine Partyhochburg. Schräge
Vögel und Esoterik-Freaks gibts hier zuhauf, meistens Briten und Deutsche.
Im Lonely Planet steht "Visitors usually stay for long time". Es wird
überall gekifft als ob es morgen nix mehr gäbe. Da die grassierende
Terroristenpsychose auch von Indien viele Touris fernhielt, war in Vagator aber
relativ wenig los, die Technotempel halbleer und die Horden von Souvenierverkaüfern
stürzten sich gleich im Dutzend auf mich. Auch sonst war der Geheimtip
für Langzeithippies trotz seiner Postkartenidylle alles andere als das
authentische Indien. Die Einheimischen waren völlig touristenadaptiert
und die zugerauchten Long Term Residents hatten ausser <One World one Family>
auch nicht viel interessantes zu berichten.
So machte ich mich kurze Zeit später weiter auf den Weg nach Süden. In der Hauptstadt Panaji schlängelte ich mich Montag morgens durch den Verkehrsstau. Wie Boxautofahren auf der Kirmes. Sobald der Verkehr irgendwo stockt, wird sofort versucht links und rechts vorbeizufahren. Schon bald sind alle hoffnungslos ineinander verkeilt, ein ohrenbetaübendes Hupkonzert als kollektive Unmutsäusserung von sich gebend.
Auf dem Highway 17 trat plötzlich ein unerwartet scharfer Motivationssturz auf, in Form einer Horde Irrer die wildhupend mit Vollgas durch die Gegend rasen, einen Höllenlärm und schwarze Russwolken ausstossend. Überzeugt, das mich nach Murphys Gesetz früher oder später einer dieser bethelnusskauenden Jeepfahrer auf die Kühlerhaube nimmt, kaufte ich mir kurzentschlossen ein Ticket für den Nachtbus, 300km die Küstenstrasse entlang Richtung Mangalore. Durchgeschüttelt stand ich dann morgens um fünf verloren am Busterminal und startete direkt vom Fleck weg in Richtung Blue Mountains. Schon bald verliess ich die Hauptstrasse und trat erneut ein in die friedliche indische Ländlichkeit.
Das Essen auf dem Land ist köstlich. Leider ist oft soviel Chilli drin, dass man mit einem Feuerlöscher aufs Klo muss. An das viele Feuer musste ich mich erst einmal gewöhnen, ich hatte jedoch auch gar keine andere Wahl. Wichtiger Bestandteil der hinduistischen Religion ist die Idee der Wiedergeburt. Je nach dem persönlichen Karma, d.h. nach den positiven und negativen Handlungen, Gedanken und Bedürfnissen, wird jeder in einer bestimmten Gestalt wiedergeboren. Da auch die Möglichkeit einer Wiedergeburt als Tier besteht, sind strenggläubige Hindus gegen jegliches Töten von Tieren. Die indische Küche ist deshalb vorwiegend vegetarisch, was der Vielfältigkeit und Köstlichkeit keinen Abbruch tut. Der Favourit ist eindeutig Reis mit allerlei Gemüse und viel Chilli, auf einem Bananenblatt serviert und immer in der für Radfahrer willkommenen All-you-can-eat-Variante.
Die Fahrt durch die mächtigen Hügelketten der Whestern Ghats ist bestimmt
durch ein stetiges Auf und Ab von einem malerischen Dorf zum Nächsten.
Es kommt einem so vor als ob jeder Hügel 2mal umkurvt wird bevor sich das
Strässchen für eine Richtung entscheidet. Einfach paradiesch, Adam
und Eva waren sicher auch schon hier. Die Freundlichkeit der Leute neben der
Strasse ist überwältigend, ich kann längst nicht jeden Gruss
erwidern.
Oft brüllt es in 50m Entfernung aus einem Busch heraus, oder der Schulhof
wird komplett in Aufruhr versetzt. (In dem Fall hilft nur die Flucht nach vorn)
Der Weg führt überwiegend durch Kaffee und Teeplantagen in Schwarzwaldgroesse
sowie Kautschuk- und Gewürzplantagen (Pfeffer, Kardamom etc...). Auch kleine
Nationalparks werden tangiert, dort werde ich daürnd vor den wilden Elefanten
gewarnt. Von denen scheint es haufenweise zu geben, leider (oder glücklicherweise)
habe ich keinen zu Gesicht bekommen. Manche Dörfer sind von einem kilometerlangen,
zwei Meter tiefen Graben umgeben, wie im Zoo, nur umgekehrt :-)
Die Bedeutung der Elefanten beschränkt sich in Indien jedoch keineswegs nur auf die Nutzung als Arbeitstier. Sie gelten als heilige, von zahlreichen Mythen umrankte Tiere und in zahlreichen Tempeln begleiten sie als Tempel-Elefanten die Prozessionen der Gottheiten. Die Zuneigung der Inder zu diesen Tieren zeigt sich auch in der Verehrung des elefantenköpfigen Gottes Ganesh, Sohn der Götter Shiva und Parvati. Als Glücksbringer und als Herr über alle Arten von Hindernissen ziert er häufig das Armaturenbrett von Bussen und Lkws.
Die Fahrerei ist wieder mal höchst meditativ. Die Sonne zauberte prachtvolle Lichteffekte auf die zarten frischgrünen Riesenblätter der Bananenstauden. Hier und da erhob sich ein luftiger Bambus-Busch und zerstreut lagen kleine Bambus-Hütten. vor denen nackte Hindukinder zwischen allerlei Haustieren spielten. Kreischende Schwärme grüner Papageien flogen durch die Wälder.
Die Welt erschien so vollkommen in Ordnung. Es ist erstaunlich wie sich der Körper an die Belastung anpasst. Da radelt man jeden Tag 100k durch die Berge und fühlt sich abeds so frisch als wäre man den ganzen Tag im Büro gesessen. Das einzig Spürbare ist der enorme Appetit.
Auf der Strecke tauchen immer wieder Dörfer auf, die alleine von einem
Handwerk dominiert sind. Da gibt es das Dorf der Lehmpuppenbastler, die allerlei
Gottheiten aus Stroh und Lehm modellieren und diese dann bemalen. Dann gibt
es das Dorf der Holzschnitzer, und das Dorf der Steineklopfer. Ja, das ist fuer
die Europäer schwer zu glauben. Da sitzen Hunderte von Leuten und zerhauen
mit einem Hammer Flusskiesel zu Schotter für den Strassenbau.
Irgendwann erhoben sich dann aus dem Nebel die Blue Mountains vor mir. Nach
einem 1500m-Uphill sitze ich entrückt im Gras, dichte Nadelwälder
um mich herum, ein Paradies für Botaniker und Biologen. Kardamomplantagen
und Bambuswälder)
Von der früheren britischen Hill-Station Ooty zeugen noch botanische Gärten und prunkvolle Villen, leider hat der Kommerz die Siedlung aus allen Nähten platzen lassen. Die Erklimmung der 2637m hohen Dodda Betta bildet einen der vertikalen Wendepunkte der Reise durch Südindien, gleich danach gibts einen 2300m-Downhill zurück in die grüne Hoelle.
Träumend rumple ich im Süden der Nilgiris auf die Küste zu, das gleissende Licht der tropischen Sonne tauchte die verschieden Etagen der Regenwälder in bezaubende Grüntoene, gesprenkelt mit den Farbtupfern der Blüten.
Mich
wieder auf die dichtbesiedelte Küstenregion zubewegend, beherrschten mich
auf der Strasse jedoch zunehmend Frust und Aggression, verursacht durch den
chaotischen Verkehr. Das besondere an den indischen Verkehrsregeln ist, das
es keine gibt. Es gilt nur ein Gesetz: Mehr PS und Dezibel siegt. Es gibt keine
Geschwindigkeitsbeschränkungen, Radarfallen, Überholverbote, Einbahnstrassen,
Fussgängerzonen und Zebrastreifen. Es gibt auch keine Beschränkungen
für Schadstoffemissionen, Dezibelgrenzen für Auspuff und Hupe, keine
Reifen-Mindestprofiltiefen, Anschnallpflicht etc... . Und da es keine Regeln
gibt, gibt es auch keine überwachende Verkehrspolizei.
Unfälle unter 12 Toten sind keine Zeile in der Tageszeitung wert. Es wird generell so schnell wie moeglich gefahren, meist laut hupend, egal ob auf der Ladefläche 40 Kinder sitzen, oder 10000 Liter Benzin geladen sind. Überholt wird immer und überall vor Kurven, Kuppen und trotz Gegenverkehr. Das Schlüsselerlebniss war ein röhrender Tanklaster mit Slicks und der Aufschrift <Ghanesh-Express> der durch die Kurve und auf mich zu driftete, dass mir der Atem stockte.(Ganesh ,der Gott mit dem Elefantenkopf und dem dicken Bauch, wird angebetet, weil er alle Hindernisse aus dem Weg schaffen kann)
Dann auch noch die schlechte Luft auf der Strasse, innerhalb von nur 10 Jahren hat sich das Verkehrsaufkommen verdreifacht. Die Luftverschmutzung Indiens ist enorm, in erster Linie durch die Zig Millionen veralteter russender Dieselmotoren der Tata-Trucks, Jeeps und Ambassador-Schraubenhaufen. Dann sind da noch die Millionen über Millionen von 2-Takt-Motor-Rikschas und Mopeds. Als Krönung verbrennt jeder Haushalt seinen Müll mit Vorliebe vor der Haustüre. In den engen Gassen der wuchernden Städte hält sich so den ganzen Tag ein ätzender blauschwarzer Dunst. Die Leute sind erstaunlich adaptiert, da wird neben der Strasse der Mittagsschlaf gehalten, kleine Kinder toben zwischen den Autos herum herum, Mütter hängen die Wäsche auf.
Ich lasse also nach 600km das Rad in Thrissur stehen und nehme den Zug Richtung Wunderland Kerala. In der Tat ein Wunderland. Es gibt in diesem Staat weniger Analphabeten als in den USA und das ausgereifte Bildungssystem erwies sich als wirksamste Waffe gegen das Problem Nummer 1, die Bevölkerungsexplosion. Das ist nicht zuletzt ein Verdienst der Kommunisten, die in manchen Legislaturperioden an der Macht sind und in vielen Orten blicken von bonbonfarbenen Wandgemälden Marx, Lenin und Engels auf das Getümmel.
Schon seit mindestens 2000 Jahren kommen Abenteurer und Geschäftsleute in das Land der Kokosnüsse, auf der Suche nach Gewürzen, Sandelholz und Elfenbein. Schon lange bevor Vasco da Gamma waren die Phoenizier, die Römer, die Araber und die Chinesen dort und haben ihre Spuren hinterlassen.
Die kulturelle Vielfalt Keralas überrascht wie die Goas. Kaum ein grösserer
Ort wo sich nicht eine christliche Kirche, eine
islamische Moschee und ein hinduistischer Tempel gleichzeitig finden. Der hinduistische
Glaube manifestiert sich alltäglich in vielfältigen religiösen
Ritualen und die islamischen und christlichen Glaubensanhänger sind nicht
weniger eifrig.
Radreisende hat es hier wohl nicht viele und die Einheimischen sind ganz aus dem Häuschen. Manche stoßen eine Art Urschrei aus, wenn sie mich sehen und rufen entgeistert "What happened?"oder "What is this" und blicken mich mit grossen Augen an.
Ich suche ein wenig Entspannung nach dem 800km-Trip durch die Berge und schwenke
ein in Richtung Varkala Beach, die derzeit angesagteste Easy-Going Enclave im
Staate. Auf dem Weg dahin gönne ich mir eine Bootsfahrt auf den zurecht
berühmten Kerala Backwaters zwischen Kollam und Allaphey. Ein Muss für
jeden Südindien-Reisenden. Ein unüberschaubares Netzwerk aus palmengesaümten
Lagunen, Seen, Flüssen und Kanälen prägt diesen Küstenstreifen
und bildet zusammen mit dem Lebensstil der Bewohner ein einzigartiges Idyll.
Überall entlang der Wasserwege finden sich kleine Siedlungen, praktisch
vom Wasser umschlossen, trotzdem halten sich die Bewohner auf den kleinen Landstreifen
Kühe, Schweine, Hühner und Büffel. Neben dem Fischfang bildet
die Palme die Haupteinnahmequelle, auf den Märkten finden sich ganze Berge
von Seilen und Matten aus Kokosfasern sowie getrocknetes Kokosnuss-Fleisch.
Wie bei vielen Stränden an Europas Südküsten findet sich auch
hier die gleiche Entwicklungsgeschichte. Zuerst als Geheimtip in der Travellerszene
gehandelt, finden die Orte früher oder später Erwähnung in den
Backpacker-Reiseführern. Die geschäftstüchtigen Inder lassen
schnell eine einfache Infrastruktur entstehen, und das Rad ist in Gang gesetzt.
Mit anschwellendem Touristenstrom lassen die Behörden einen restriktionslosen
Bauboom zu und schon bald überragen hässliche Betonschachteln die
Palmdächer. Bald kommen die grossen Raubfische mit der Waffe des Pauschaltourismus,
und abgeschottete Ferienresorts entstehen, die den alteingesessenen Familien
quasi das Wasser abgraben, im doppelten Sinne.
Mit dem Zug geht’s zurück nach Bombay. Da ich aus mir unzureichend dargelegten Gründen mein Rad nicht als Gepäck buchen durfte, musste ich es illegal ins Abteil nehmen. Der Schaffner bekam einfach 50 Rupees in die Hand gedrückt und war schon still.
Das ging natürlich nur 24 h gut, bevor ein Inspektor kam und 1000 Rupees Strafe wollte. Eine hitzige Diskussion entbrannte und nach und nach ergriff das ganze Abteil Partei für mich und der Inspektor "zog sich zurück". Eine sehr haarige Situation ergab sich in der zweiten Nacht um halb 2 morgens, als tausend teils betrunkene Youngsters den Zug stürmten. Sie wollten zu einer Demo nach Bombay und vertrieben die Passagiere mit Gewalt von den bezahlten Plätzen, nirgends eine Spur von Sicherheitskräften.
Der Flug nach Europa im nagelneuen Airbus von Emirates war ein mächtiger Kulturschock. Von den Slums in Dheli über den Protz-Flughafen in Dubai nach dem eiskalten Frankfurt. Dort wandelte ich dann durch das Ankunftsgebäude mit dem Gefühl, auf einem anderen Stern zu sein. Kälte und Sterilität waren die ersten Eindrücke.
Ich wollte die 140 Kilometer nach Karlsruhe mit dem Rad fahren und folgte der Wegbeschreibung eines Taxifahrers. Schon nach wenigen hundert Metern deutet sich an das ich mich schnurstracks Richtung Autobahn bewege, ich halte an und blicke ratlos. Sogleich hält ein grün angemaltes Auto mit ebenso grün bemützten Typen drin. Der Fahrer brüllt mich an ob ich denn nicht ganz gebacken wäre und ich solle mich schleunigst vom Acker machen. Bevor ich die Zärtlichkeiten erwidern kann, gibt er auch schon Vollgas und haut ab.
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Nachwort
Dieser kurze Abschnitt auf dem langen, staubigen und entbehrungsreichen Weg zur Weisheit war physisch und besonders psychisch manchmal eine harte, aber äusserst gewinnbringende Zeit. Gewonnen haben wir an Verständnis für fremde Kulturen, Lebensweisen und Religionen, was doch für einen Europäer ziemlich wichtig ist. Insbesondere auch politische Meldungen aus fremden Ländern werden nach so einer Reise viel differenzierter wahrgenommen und überdacht, wenn man in diesen Ländern schon einmal war und die Meinungen und Ansichten von des Volkes Basis kennt.